Berlin – Wenn man es ganz genau nimmt, dann stehen ja eigentlich keine Bundestagswahlen an. Aber dafür wird im politischen Berlin derzeit erstaunlich viel über mögliche Koalitionen fabuliert. Das geht schon eine Weile so, aber richtig Fahrt aufgenommen hat die Debatte durch FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai. Der hatte in einem Interview die Union umgarnt – auch mit dem Satz, der CDU und CSU müsse er „nicht jedes Mal die Grundlagen der sozialen Marktwirtschaft erklären“. Mit schönen Grüßen an die derzeitigen Koalitionspartner SPD und Grüne.
Wie gesagt: Man darf es nicht ganz so genau nehmen. Denn dann würde man auch darauf kommen, dass die FDP in Umfragen aktuell bei vier Prozent liegt und damit bei der nächsten Regierungsbildung eine genauso große Rolle spielen könnte wie die „Partei für Veränderung, Vegetarier und Veganer (V-Partei³)“. Doch die Äußerungen wühlen die Parteien des Bundestags auf. Zuletzt hatten sich die Partner mehrfach über die Liberalen geärgert, beispielsweise wegen des Neins zum EU-Lieferkettengesetz. Regierungssprecher Steffen Hebestreit sprach gestern von „politischen Nickeligkeiten“, ähnlich wie beim Fußball. „Die muss man hinnehmen, aber man muss sie nicht ernst nehmen.“ Beim Kicken nenne man das „internationale Härte“.
Auch in der Union gibt es Debatten. Markus Söder hatte vor der Landtagswahl den Abgesang auf die Liberalen angestimmt. Mit seiner Absage an eine Koalition mit den Grünen im Bund muss er seine Strategie ändern. CDU-Chef Friedrich Merz erklärte gestern: „Ich begleite das, was die FDP tut, mit Sympathie. Aber die Kraft dazu, es dann auch wirklich zu können, muss sie selber auf die Waagschale bringen.“ Seine Offenheit zu den Grünen aber scheint verschwunden. Derzeit sehe er deren Agieren ebenso skeptisch wie Söder.
Offenbar ist der CDU-Chef skeptisch, dass es die Liberalen mit der aktuellen Regierungsbilanz wieder in den Bundestag schaffen. „Die FDP muss aus eigener Kraft bei der nächsten Bundestagswahl dafür sorgen, dass wir mit ihr eine rechnerische Mehrheit haben. Dann könnten wir miteinander sprechen.“ Aber bis dahin sei die FDP Mitglied einer Bundesregierung mit Sozialdemokraten und Grünen. Und sie trage unverändert Verantwortung für die Ergebnisse dieser Regierung. Wenn sie daran etwas ändern wolle, müsse sie keine Interviews geben, sondern Taten folgen lassen.
Damit klingt Merz nicht ganz so euphorisch wie sein Generalsekretär. „Es ist unbestritten, dass wir als Union die größte inhaltliche Schnittmenge mit der FDP haben. Mit der FDP ließe sich eine bürgerliche Politik am ehesten verwirklichen“, erklärte Carsten Linnemann der „Bild“. Die Liberalen hätten „ein ähnliches Politikverständnis“, das „nicht von oben herab kleinteilig vorgeben will, wie man zu leben hat“. Tatsächlich erweist sich in der Ampel immer wieder das Politikverständnis als problematisch: Hier die Grünen, die möglichst viel über den Staat regeln wollen. Dort die FDP, die dem Staat Zurücklegung empfiehlt.
Merz und Lindner jedenfalls könnten sich einigen. Beide kommen aus NRW, kennen sich seit vielen Jahren. „Wir sind beide Schwarz-Gelbe“, hat Lindner gesagt, als er mal ein Merz-Buch vorstellte. So weit würde der CDU-Chef derzeit nicht gehen. Stattdessen stellt er klar: „Wir werden ohne Koalitionsaussage in den Bundestagswahlkampf gehen.“ mik