Die unheimliche Sprengkraft des Taurus

von Redaktion

HINTERGRUND Der Streit um das Waffensystem bedroht plötzlich akut die Koalition

Berlin/München – Die Autoren haben sich besondere Mühe gegeben: Neun eng bedruckte Seiten in kleiner Schrift haben sie formuliert, das Reizwort aber fehlt. Der Begriff „Taurus“, also das derzeit umstrittenste, begehrteste deutsche Waffensystem, kommt nirgends vor im ausführlichen Antrag der Abgeordneten von SPD, Grünen und FDP. Ist das nun genial – oder feige? In der Koalition gibt es plötzlich erheblichen Ärger.

Das Papier unter dem Titel „Die Ukraine und Europa entschlossen verteidigen“ kursiert seit Anfang der Woche in Berlin. Es beschreibt, von reichlich Politprosa umrankt, wie sehr Deutschland die angegriffene Ukraine unterstützen soll. Die Abgeordneten fordern ihre eigene Regierung zum Handeln auf, loben sie aber gleichzeitig so ausführlich, dass das kein Affront ist. „Dies beinhaltet die Lieferung von zusätzlich erforderlichen weitreichenden Waffensystemen und Munition“, steht darin. Die Ukraine solle völkerrechtskonforme, also gezielte, Angriffe auf Ziele „weit im rückwärtigen Bereich des russischen Aggressors“ durchziehen können.

Das umschreibt Taurus – also das deutsche Raketensystem, das 500 Kilometer weit reicht, unter der gegnerischen Flugabwehr durchsausen und Bunker brechen kann. Viele Ukraine-Unterstützer in der Koalition wollen es liefern. Kanzler Olaf Scholz (SPD) widersetzt sich. Er sprach es nie öffentlich aus, aber seine Sorge ist: Die Ukraine kann damit russisches Terrain angreifen, also nicht nur von den Russen besetztes. Das will er keinesfalls mit deutschen Waffen (Hersteller ist eine Tochter von MDBA aus dem oberbayerischen Schrobenhausen) ermöglichen. Noch dazu sieht ein Teil des linken Flügels in der SPD – um Fraktionschef Rolf Mützenich – alle Waffenlieferungen sehr kritisch.

Der gemeinsame Antrag der Koalition sollte den Streit kaschieren – befeuert ihn aber nun. Die engagierteste Taurus-Kämpferin der Ampel, die FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, stimmt nämlich aus Protest (auch) einem Antrag der oppositionellen Union zu, der explizit Taurus nennt. „Der Antrag der Ampel ist fundiert, unterstützt die Ukraine umfänglich und ist unter den Eindrücken der aktuellen Geschehnisse mehr, als bisher mit der SPD möglich war“, sagt sie unserer Zeitung. „Es fehlt für mich noch ein Wort zur absoluten Richtigkeit: Taurus. Deshalb votiere ich auch für den Antrag der Union in dieser Woche.“ Sie spricht außerdem von Widerstand aus der SPD und von „Starrköpfigkeit des Kanzleramtes“ bei Taurus.

Die resolute Rheinländerin, 65, exponiert sich als Erste. Wer folgt, ist offen. Grünen-Chef Omid Nouripour hatte jüngst eine schnelle Entscheidung verlangt. Fraktionskollege Anton Hofreiter, mit Strack-Zimmermann gut vernetzt und inhaltlich auf ähnlicher Linie, lehnt den Unionsantrag dagegen ab.

Das ist formal kein Koalitionsbruch, Abgeordnete dürfen nach ihrem Gewissen abstimmen, sollen das aber rechtzeitig ihrer Fraktionsspitze melden. Heikel wird es dann, wenn sich solche Fälle häufen. Und das wirkt so, denn am selben Tag haben zwei ostdeutsche FDP-Abgeordnete angekündigt, gegen das „Demokratiefördergesetz“ der Ampel zu stimmen.

Die Union freut sich. CDU-Chef Friedrich Merz betont, es wäre das erste Mal in dieser Legislatur, wenn FDP-Abgeordnete für einen Unions-Vorstoß stimmen. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt spottet über den „Dreifach-Wumms“ bei Taurus, Haushalt und Asylpolitik, also Wumms im Sinne von internem Streit. Die Ampel könne sich wohl „auf überhaupt nichts mehr einigen“.

K. BRAUN/C. DEUTSCHLÄNDER

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