„Es geht um mehr als nur fehlende Kommunikation“

von Redaktion

Über diese Themen streitet die Koalition – Politologe erklärt, worin die größte Sprengkraft steckt

München – Mehr demonstrative Einigkeit geht nicht. Robert Habeck und Christian Lindner lächeln in die Kamera und betiteln ihr Selfie mit „Good News“ – gute Neuigkeiten. Was die beiden vor zwei Wochen damit eigentlich verkünden wollten, war ein neues Förderprogramm für Start-ups. Was sie aber zwischen den Zeilen verkündeten: Streit gibt es bei uns nicht. Offiziell.

In Wirklichkeit zankt die Ampel-Koalition. Später geloben die Parteien dann eine bessere Kommunikation. Ist das überhaupt das Problem? „Es geht um weit mehr als nur fehlende Kommunikation – es geht um eine harte inhaltliche Auseinandersetzung“, sagt Albrecht von Lucke, Politikwissenschaftler und Redakteur der „Blätter für deutsche und internationale Politik“, unserer Zeitung.

Alles bestimmend: „Die Streitigkeiten im Bereich der Wirtschaft überragen alles – und ziehen sich durch die ganze Koalition“, sagt von Lucke. Und genau da prallen der FDP-Finanzminister und Grünen-Wirtschaftsminister aufeinander. „Robert Habeck hat die Idee eines unternehmerischen Staates, der über Kredite die Wirtschaft anstößt, während Christian Lindner ganz auf Austerität, die Schwarze Null und den Spar-Staat setzt“, erklärt von Lucke. Deswegen sei die Frage, mit der es zum Bruch kommen könnte: „Wo kommen die Milliarden für den Haushalt 2025 her?“

Die SPD-Fraktion hat jetzt sogar eine Steuerungsgruppe eingesetzt, die eine Reform der Schuldenbremse ausarbeiten soll. Grüne und SPD sorgen sich nämlich, dass es zu Sozial-Kürzungen nach dem Ende des Bundeswehr-Sondervermögens kommt. Deswegen wird auch die Debatte um das Bürgergeld wohl noch einmal schärfer ausgetragen, erwartet von Lucke. „Die FDP wird dabei versuchen, sich gegenüber SPD und Grünen als die Partei zu profilieren, die auch zu schmerzhaften Einschnitten im Sozialbereich bereit ist“, sagt von Lucke.

Beim Bürokratieabbau ermahnen sich Grüne und FDP gegenseitig, mehr zu tun. Das ist laut von Lucke ein „Riesenthema“, weil die FDP dies für die Europawahl nutzen wolle. Um die Wirtschaft weiter zu entlasten, macht sich Lindner auch für die Abschaffung des Solidaritätszuschlags stark. Habeck zeigt sich skeptisch und die SPD lehnt den Vorstoß ab. Es sind nicht nur die großen Projekte, bei denen es in der Ampel knirscht – sie aber wohl nicht bricht. „Die kleineren Streitigkeiten, etwa beim Demokratiefördergesetz oder der Cannabis-Legalisierung, können den grundsätzlichen Willen, die Koalition doch noch über die Bühne – sprich über die gesamte Legislaturperiode – zu bringen, nicht wirklich gefährden“, so von Lucke.

Und zumindest beim Wachstumschancengesetz ist sich die Ampel einig, da schlägt die Union quer. Ein „äußerer Gegner“, der „kurzfristig über die eigene Zerrissenheit hinwegtäuschen kann“, sagt von Lucke.

LEONIE HUDELMAIER

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