München – Seit Monaten spekuliert die Bundesrepublik über ein Ampel-Ende. Jetzt scheint der Bruch zum Greifen nah: Dass die SPD an der Schuldenbremse rüttelt, war für die FDP immer eine rote Linie. Der Politologe Jürgen Falter von der Uni Mainz sagt: „Ich halte es für unwahrscheinlich, dass die Ampel platzen wird. Die FDP hätte keine andere Chance, als aus der Regierung auszuscheiden.“ Falls es aber doch so kommen sollte, sollte man sich „auf die möglichen Konsequenzen gefasst machen“. Wir haben mit ihm und Verfassungsrechtler Walther Michl von der Bundeswehr-Universität in Neubiberg über vier Szenarien gesprochen.
Szenario 1: Noch mal an die Urne gehen
Verliert eine Regierung das Vertrauen ihrer Bürger, scheinen Neuwahlen die natürlichste Konsequenz zu sein. Allerdings sind die verfassungsrechtlichen Hürden hoch. „Ich halte das für unwahrscheinlich, weil der Kanzler dafür im Bundestag die Vertrauensfrage stellen müsste“, sagt Walther Michl. Olaf Scholz würde so den Abgeordneten die Möglichkeit geben, ihn zu stürzen. Sollte er keine Mehrheit erhalten, kann er den Bundespräsidenten darum bitten, den Bundestag aufzulösen – danach müssten innerhalb von 60 Tagen Neuwahlen stattfinden.
Bisher haben drei Kanzler auf diese Art Neuwahlen herbeigeführt: Willy Brandt (1972), Helmut Kohl (1982) und Gerhard Schröder (2005). Alle drei wollten mit ihrer Vertrauensfrage scheitern. Politologe Falter glaubt nicht, dass Scholz diesen Schritt gehen wird. „Ich persönlich hielte einen glatten Bruch mit Neuwahlen für das Beste für unser Land. Aber das wird es nicht geben.“ Für die Ampel-Parteien könnte das den „politischen Selbstmord“ bedeuten. Alle drei würden an Stimmen verlieren, die FDP könnte gar aus dem Bundestag fliegen.
Szenario 2: Bundestag ersetzt den Kanzler
Mit dem konstruktiven Misstrauensvotum kann der Bundestag den Kanzler entlassen – solange gleichzeitig ein Nachfolger gewählt wird. Damit soll verhindert werden, dass antidemokratische Kräfte die Regierung stürzen, ohne eine neue zu wählen, wie es in der Weimarer Republik der Fall war. „Das konstruktive Misstrauensvotum setzt voraus, dass mindestens ein großer Partner das Lager wechselt“, erklärt Falter. „Das könnte der Fall sein, wenn Union und SPD gemeinsam einen neuen Kanzler wählen würden.“ Allerdings sei es „sehr unwahrscheinlich“, dass die SPD einem Kanzler aus der Union zustimmen würde. „Und es ist noch unwahrscheinlicher, dass die Union als Juniorpartner unter einem SPD-Kanzler in die Regierung geht.“
Möglich wäre auch, dass Grüne und FDP gemeinsam mit der Union versuchen würden, einen neuen Kanzler zu wählen. „Aber das liegt fast schon außerhalb meiner Vorstellungskraft“, meint Falter. „Immerhin würde die FDP ja die Ampel-Koalition verlassen, weil sie nicht mit den Grünen kann.“
Bisher wurde erst ein Kanzler durch ein konstruktives Misstrauensvotum entlassen: Im Jahr 1982 hatten die Abgeordneten den SPD-Kanzler Helmut Schmidt gestürzt, um Platz für CDU-Mann Helmut Kohl zu machen.
Szenario 3: Fliegender Regierungswechsel
Ministerpräsident Markus Söder (CSU) bot für die Union schon vor Monaten an, als Juniorpartner in die Scholz-Regierung zu gehen, damit Grüne und FDP rausfliegen. „Das ist prinzipiell unproblematisch, denn der Kanzler kann seine Minister auswechseln, wie er es für richtig hält“, erklärt Verfassungsrechtler Michl. „Die Frage ist nur, ob sich die Union wirklich der SPD unterordnen will, wenn ihre Umfragewerte fast doppelt so hoch sind.“ Auch Politologe Falter ist skeptisch – seiner Meinung nach habe Söder den Vorschlag nicht ernst gemeint. „Das war rein taktisch.“ Die Union müsste „mindestens einen Teil der Politik fortführen, die von der Ampel begonnen wurde“, sagt er. Das würde der Union für die nächste Wahl 2025 erheblich schaden.
Szenario 4: SPD und Grüne regieren allein
Falls die Ampel platzen sollte, hält Falter eine Minderheitsregierung für das wahrscheinlichste Szenario: Die FDP verlässt die Regierung, SPD und Grüne regieren ohne Mehrheit weiter. Scholz habe noch die Hoffnung, dass die Akzeptanz für seine Politik steigen wird, sagt der Politologe. Und: „Man würde sicher besser miteinander harmonieren als zu Ampel-Zeiten, was wiederum ein positives Signal an die Bevölkerung sein könnte.“
Allerdings müsste sich die Regierung für jedes Gesetz eine neue Mehrheit im Bundestag zusammenkratzen. „Was tut man dann, wenn mal die AfD aus taktischen Gründen zustimmt?“, gibt Jurist Michl zu denken. „Besonders schwierig wird es, wenn es darum geht, ein Haushaltsgesetz für 2025 zu verabschieden.“ Dass die FDP mit ihrem Austritt so ein Chaos verursachen will, bezweifelt er.