Schreckmoment für Baerbock

von Redaktion

VON J. BLANK, C. HOFFMANN UND K. NIETFELD

Odessa/Mykolajiw – Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hat ihren Besuch in der südukrainischen Stadt Mykolajiw gestern Nachmittag wegen eines Luftalarms vorzeitig abgebrochen. Während des Besuchs in der frontnahen Stadt wurde nach Informationen der Nachrichtenagentur AFP eine russische Aufklärungsdrohne gesichtet, die der Delegation der Ministerin zeitweise folgte und schließlich abdrehte. Das Auswärtige Amt entschied sich deshalb zur sofortigen Abreise.

Auf solche Flüge russischer Aufklärungsdrohnen folgt in der Regel ein direkter russischer Luftangriff. Die ukrainischen Behörden forderten die Bewohner der Region per Warn-App auf, sich sofort im nächstgelegenen Bunker in Sicherheit zu bringen.

Die Ministerin und ihre Delegation setzten die Abreise in einer Kolonne gepanzerter Fahrzeuge mit hoher Geschwindigkeit fort – in einer solchen Situation sei es die „sicherste Option“, in Bewegung zu bleiben, hieß es aus der Delegation.

Zuvor hatte Baerbock der Ukraine zwei Jahre nach Beginn des russischen Angriffskrieges anhaltende Unterstützung mit Waffen und auf dem Weg in die EU zugesagt. Solange Wladimir Putin nicht bereit sei, den Krieg zu stoppen, „unterstützen wir euch jeden weiteren Tag“ auch mit Waffenlieferungen, „die nicht nur zurückerobern, sondern die jeden Tag Menschenleben retten“, sagte die Grünen-Politikerin am Samstag bei einem gemeinsamen Auftritt mit dem ukrainischen Außenminister Dmytro Kuleba in der südukrainischen Hafenstadt Odessa. Die vergangenen zwei Jahre hätten gezeigt: „Keine Rakete, keine 731 Tage Bombenterror können den Freiheitswillen der Ukraine brechen.“ Die Ministerin versprach zudem, die deutsche Regierung werde künftig nicht mehr von Kiew, sondern von „Kyjiw“ schreiben – ein symbolischer Akt, der Ukraine wichtig.

Auch in Odessa bekam sie den Krieg hautnah zu spüren. Wegen eines Raketenalarms musste Baerbock einen Schutzraum aufsuchen.

Kuleba warf Deutschland und dem Westen eine Mitschuld am Krieg durch zögerliches Verhalten vor: „Wenn Deutschland und der Westen nicht vom Beginn der ukrainischen Unabhängigkeit auf die Ukraine über das Prisma Russlands geschaut und uns in die EU und die Nato aufgenommen hätten, dann hätte es diesen Krieg nie gegeben.“ Ebenso seien Chancen vor dem Krieg vertan worden, Russland einzudämmen. „Wenn zu Kriegsbeginn alle Entscheidungen zu Waffenlieferungen schnell getroffen und umgesetzt worden wären, dann wären wir heute in Luhansk und würden heute auf der Pressekonferenz über ein Europa von Lissabon bis Luhansk reden.“

Frieden sei nur über höhere Rüstungslieferungen erreichbar, sagte Kuleba. Er drängte erneut auf einen baldigen Nato-Beitritt. Die Ukraine sei keine Last, sondern eine Stärkung des Militärbündnisses. Kiew sei in der Lage, den euroatlantischen Raum vor Russland zu schützen. Er hob bei den benötigten Waffen drei Positionen hervor: „Granaten, Flugabwehr und weitreichende Raketen.“

Kritik an den Waffenlieferungen des Westens äußerte noch ein weiteres Regierungsmitglied. „50 Prozent des Zugesagten treffen nicht rechtzeitig ein“, sagte Verteidigungsminister Rustem Umjerow. Das wirke sich auf die Situation auf dem Schlachtfeld aus. „Wir verlieren Menschen und Material.“

Präsident Selenskyj nannte erstmals eine Zahl der bisher getöteten ukrainischen Soldaten: Es seien 31 000, eine Verletztenzahl wollte er nicht nennen. Die russischen Verluste bezifferte Selenskyj auf 180 000 Tote und 500 000 Verletzte. Wie seriös die Zahlen sind, ist nicht gewiss.

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