Macrons Tanz auf der roten Linie

von Redaktion

VON KATHRIN BRAUN UND ULRIKE KOLTERMANN

München/Paris – Der Krieg in der Ukraine wütete gerade mal eine Woche, da wurde bereits die rote Linie gezogen. Im März 2022 hatte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg gesagt: „Die Nato wird keine Truppen in die Ukraine entsenden.“ Damals war Emmanuel Macron derjenige, der in Europa den besten Draht zu Wladimir Putin hatte, den russischen Präsidenten zu beschwichtigen versuchte. „Du begehst einen schweren Fehler“, sagte der französische Präsident in einem der vielen, vielen Telefonate mit dem Kreml-Chef. Seine Rolle war die des Brandlöschers. Aber die Zeiten haben sich geändert, und nun schließt Macron offenbar keine Eskalation mehr aus – auch nicht die Entsendung von Bodentruppen in die Ukraine.

Am späten Montagabend trommelt der französische Präsident in kürzester Zeit 20 europäische Staats- und Regierungschefs zusammen, darunter Kanzler Olaf Scholz, um über die weitere Unterstützung der Ukraine zu beraten. „Es gibt heute keinen Konsens darüber, offiziell Bodentruppen zu entsenden“, sagt Macron nach dem Treffen. „Aber in der Dynamik darf nichts ausgeschlossen werden. Wir werden alles tun, was nötig ist, damit Russland diesen Krieg nicht gewinnen kann.“

Scholz hatte erst einen Tag zuvor verdeutlicht, dass es eben „keine deutschen Soldaten auf ukrainischem Grund geben wird“. Macron weiß genau, dass er den Kanzler mit seinem Vorstoß verärgert – und er stichelt noch weiter. „Viele derjenigen, die heute sagen, nie, nie, waren dieselben, die zuvor sagten: nie, nie Panzer, nie, nie Flugzeuge“, sagt Macron. Und fügt hinzu: „Ich erinnere Sie daran, dass vor zwei Jahren viele an diesem Tisch sagten: Wir werden Schlafsäcke und Helme anbieten.“ Damit spielt er direkt auf Scholz an, der nach wie vor bei seinem Nein zur Lieferung vom Marschflugkörper Taurus bleibt.

Womöglich ist das die Quittung für Scholz’ Spitzen gegen Macron auf der Münchner Sicherheitskonferenz – zu der Frankreichs Präsident spontan doch nicht erschienen war. Bei der Siko hatte Scholz die europäischen Staaten zu mehr Engagement im Kampf gegen Russland aufgefordert – Frankreich hatte für 2024 lediglich drei Milliarden Euro Militärhilfe für die Ukraine angekündigt, Deutschland hingegen acht.

Macron wollte das offenbar nicht auf sich sitzen lassen – und hat deshalb die Führungsrolle bei den Beratungen für die Ukrainehilfe eingenommen. „Warum die Konferenz in Paris stattfindet? Weil der französische Präsident die Initiative ergriffen hat“, heißt es im Elysée. Es sei zu begrüßen, dass Deutschland der Ukraine so viel Geld Verfügung stelle, heißt es weiter. „Aber Kriege werden nicht nur mit Finanzzusagen gewonnen, sondern auch mit Effizienz im Einsatz.“

Damit ist wohl auch die Möglichkeit gemeint, sich direkt in den Ukraine-Krieg einzumischen. Scholz beeilt sich am Tag nach der Konferenz zu betonen, dass die Teilnehmer „sehr einhellig“ in ihrer Ablehnung einer solchen Entsendung gewesen seien: Es werde „keine Soldaten auf ukrainischem Boden geben, die von europäischen Staaten oder von NATO-Staaten dorthin geschickt werden“, sagt er. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) springt ihm bei: Eine Entsendung von Truppen in die Ukraine schließe er aus. Ablehnend äußern sich auch Polen, Tschechien, Spanien, Italien, Schweden. Aus dem Kreml kommt eine subtile Drohung: Eine Entsendung von Truppen sei „absolut nicht im Interesse“ westlicher Länder, sagt Kreml-Sprecher Dmitri Peskow.

Frankreichs Außenminister Stéphane Séjourné versucht am Dienstag ein wenig zurückzurudern. Er sieht einen möglichen Einsatz westlicher Bodentruppen in der Ukraine auf einige „Spezialoperationen“ begrenzt. „Wir müssen neue Formen der Unterstützung der Ukraine in Betracht ziehen, die auf bestimmte Bedürfnisse eingehen“, sagt Séjourné. Dazu zählten etwa die Minenräumung, die Bekämpfung von Cyberangriffen und die Produktion von Waffen in der Ukraine. Einige dieser Aktionen könnten die Präsenz (westlicher Soldaten) in der Ukraine erfordern, ohne dabei die Schwelle der Kriegsbeteiligung zu überschreiten“, fügt er hinzu.

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