Achsenbruch in Europa

von Redaktion

VON MARCUS MÄCKLER UND CHRISTIAN DEUTSCHLÄNDER

München – Er war wirklich zu bemitleiden. Vergangenen Oktober stapfte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron durch Hamburg-Blankenese, dunkler Anzug, Schlips, Manschettenknöpfe, daneben der Kanzler. Gerade war ein gemeinsames Kabinettstreffen zu Ende gegangen, üblicherweise folgt ein Gänge-Menü. Doch statt Haute cuisine gab es für Monsieur le Président und die Gattin: Fischbrötchen auf die Hand. Leicht gequält würgten sie es herunter.

Die Szene wurde hinterher breit ausgedeutet. Ein Pariser Korrespondent sprach von „Fischbrötchen-Diplomatie“, andere bemühten sich, die Essensauswahl zum Ausweis einer kernigen Verbindung umzudeuten. Doch der sicher unfreiwillige Symbolwert lag auf der Hand: Wie groß kann die Wertschätzung wohl sein, wenn man einen Macron mit Bismarckhering abspeist?

Das Verhältnis zwischen Berlin und Paris war schon damals gestört. Jetzt, fast fünf Monate später, ist es an einem Tiefpunkt angelangt – und das mitten in einer Phase, da die zwei wichtigsten Länder Europas zusammenrücken sollten. Die EU muss, die US-Wahl vor Augen, schleunigst verteidigungsfähig werden und in Sachen Ukraine mit einer Stimme sprechen. Doch es passiert zu wenig; auch, weil sich zwei Egos im Weg stehen.

Selten wurde das so klar wie zu Beginn der Woche. Scholz hatte Paris im Vorfeld unverhohlen für zu geringe Waffenlieferungen an Kiew kritisiert, was man ihm im Élysée-Palast übel nahm. Nach der Ukraine-Konferenz am Montag revanchierte sich Macron. Es habe ja Länder gegeben, die Kiew anfangs Schlafsäcke und Helme schicken wollten, sagte er. Jeder verstand, dass Berlin gemeint war. Scholz konterte tags darauf, wischte Macrons Gedankenspiele über Nato-Soldaten in der Ukraine brüsk vom Tisch. Der Franzose hatte sich wohl nicht, wie üblich, mit Berlin abgesprochen. Auch das spricht Bände.

In aller Regel wahrt man öffentlich die Form, lächelt, zelebriert die deutsch-französische Freundschaft. Aber eigentlich sind sich die zwei Politiker nicht rasend sympathisch. Macron liebt die Öffentlichkeit, Pathos, die große Ankündigung, Scholz ist das Gegenteil. Hinzu kommt ihre Rivalität, beide wollen Europa führen, nur nicht zusammen.

Das fällt auf, natürlich. Der Grünen-Politiker Anton Hofreiter nennt das Verhältnis „zerrüttet“. CDU-Kollege Armin Laschet sieht es „in einem schlechten Zustand“. Einen großen Teil der Verantwortung sieht er bei Scholz:„Macron hat oft die Hand ausgestreckt, das hat Scholz nie erwidert. Es gibt keinen Willen dazu“, sagt er. Der Kanzler müsse „intellektuell in der Lage sein, zu erkennen, dass ganz Europa geschwächt wird, wenn Deutschland und Frankreich nicht vernünftig zusammenarbeiten.“ Sonst werde man „in keiner Region der Welt ernst genommen“.

Spätestens der Ukraine-Krieg müsse doch beide „dazu zwingen, dass man zusammenarbeitet, selbst wenn man sich nicht mag“. Das sei auch keine Frage von großen Egos, sagt Laschet: „Auch Helmut Kohl hatte ein großes Ego, auch Helmut Schmidt – trotzdem haben beide die herausragende Bedeutung der deutsch-französischen Verbindung sofort erkannt und mit Leben erfüllt“.

Gerade aber sind die Egos zu groß, um sie beiseitezuschieben. Scholz und Macron tun sich schon mit gemeinsamen Gesten schwer, zuletzt bei der Sicherheitskonferenz in München. Geplant war, dass beide zusammen mit Wolodymyr Selenskyj Sicherheitsabkommen unterzeichnen. Doch die Bundesregierung, so war hinterher zu hören, blockte das ab. Macron blieb daheim.

Ähnlich lief es vor dem russischen Angriff, als beide getrennt nach Moskau reisten, um Putin zu besänftigen. „Als Bundeskanzler wäre ich zusammen mit Präsident Macron nach Moskau geflogen, um Putin klar zu signalisieren, Deutschland und Frankreich denken gleich und haben Europa hinter sich“, sagt Laschet. Stattdessen wolle sich „jeder auf Kosten des anderen profilieren“. Es fehle einfach der Wille zum gemeinsamen Handeln. Kein Zweifel: In Moskau registriert man das mit Genugtuung.

Wahr ist auch: Hinter Macrons großen Worten steht nicht immer die große Tat, Scholz’ Kritik an der Menge der französischen Waffenlieferungen kommt nicht von ungefähr. Aber der Franzose streckte die Hand bis zuletzt immer wieder aus, angefangen bei der gefeierten Sorbonne-Rede 2017 zur Erneuerung der EU. Damals ließ Angela Merkel ihn auflaufen, jetzt ist es Scholz. Irgendwann hat auch ein Macron lange genug gewartet.

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