Bodentruppen-Streit: „Gegner im Unklaren lassen“

von Redaktion

Debatte um Macrons umstrittene Ukraine-Aussage: Spanien widerspricht, Lettland wäre offen

München – Kaja Kallas steht nicht im Verdacht, die Gefahr aus dem Osten zu unterschätzen. Als Regierungschefin von Estland repräsentiert sie einen unmittelbaren Nachbarn Russlands, immer wieder hat sie gewarnt vor den Aggressionen Moskaus. In der Debatte um europäische Bodentruppen auf ukrainischem Kriegsgebiet aber bemüht sich Kallas auffällig um Deeskalation.

Seit Emmanuel Macron einen Einsatz westlicher Bodentruppen ausdrücklich nicht ausgeschlossen hatte, ist die Aufregung groß. Durchaus zur Verwunderung von Kaja Kallas, die im estnischen Fernsehen betonte, dieser Schritt stehe nicht zur Debatte. Kallas zufolge war in Paris mitnichten die Rede davon, Bodentruppen zu entsenden: „Vielleicht ist das auch in der Übersetzung verloren gegangen.“ Wichtig sei ihr, dass alle Anwesenden verstanden haben sollten, „was wir sonst noch tun können, um der Ukraine zu helfen“. Die Ministerpräsidentin verwies darauf, dass die Staats- und Regierungschefs vereinbart hätten, Munition auch von außerhalb Europas zu kaufen – anders als zuletzt praktiziert.

Macrons vollmundige Ansage hat deutliche Reaktionen provoziert. Und nicht überall im Baltikum tut man die Ansage so leicht als Missverständnis ab, wie es Kallas tut. Estlands südlicher Nachbar steht dem Thema offener gegenüber. „Lettland prüft weiterhin viele verschiedene Möglichkeiten, die Unterstützung für die Ukraine zu stärken“, sagte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums – und wird durchaus konkret. „Sollte es zu einer Einigung der Nato-Verbündeten über die Entsendung von Truppen in die Ukraine kommen, würde Lettland eine Teilnahme in Betracht ziehen.“

Ein gewisses Muster ist erkennbar. Je weiter westlich man fragt, desto deutlicher klingt die Ablehnung für Macrons Plan. Während bereits am Dienstag Polen und Litauen zurückhaltend reagiert hatten, war der Widerstand in Deutschland oder Italien vehementer. Auch aus Spanien kommen klare Worte. Außenminister Jose Manuel Albares teilte mit, es werde „keine spanischen Truppen in der Ukraine geben, natürlich nicht“.

Der Eindruck, dass alle europäischen Partner an einem Strang ziehen, will sich nicht einstellen. Der SPD-Außenpolitiker Michael Roth nennt es „wirklich zum Haare raufen“, dass speziell Paris und Berlin sich offenkundig nicht einig sind. Bei seinem jüngsten Ukraine-Besuch habe er keine Stimmen gehört, „die irgendetwas von Bodentruppen oder vom Einsatz ausländischer Soldatinnen und Soldaten gesagt haben“, betonte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses in der ARD.

Milder bewertet Wolfgang Ischinger den Vorstoß Macrons. Der frühere Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, nannte ihn bei Welt-TV „ein bisschen kühn, aber nicht falsch“. Grundsätzlich sei es richtig, nichts auszuschließen. Tue man dies, mache man es „für den Gegner leichter“, sich darauf einzustellen. Gleichwohl gelte weiter der Grundsatz, dass die Nato nicht militärisch in den Krieg gezogen werden wolle.

Ähnlich argumentiert der Politikwissenschaftler Carlo Masala. Er kritisiert zwar Macron, aber vor allem wegen der fehlenden Absprache mit den Partnern. Die Aussage selbst hält Masala für richtig – vor allem aus psychologischen Gründen. Es sei wichtig, den Gegner im Unklaren zu lassen. MARC BEYER

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