In der Klinik der Albträume

von Redaktion

VON MIKE SCHIER

München – Hubert Aiwanger trifft es wohl am schlimmsten. Lange hat er sich gewehrt, aber dann haben sie ihn in diesem seltsamen Krankenhaus doch noch zur Logopädie gezwungen. Ergebnis: Er kann kein bayerisch mehr. „Apfelsaft!“ Nicht mal das funktioniert noch. Es klingt so, als käme der Freie-Wähler-Chef (gespielt von Stefan Murr) nicht mehr aus Landshut, sondern aus Lüneburg. „Ja, Kreuz, Birnenbaum und Holunderstaude!“ Der reinste Albtraum. Dieses Krankenhaus ist eine Horrorklinik.

Ja, es ist ein düsteres Szenario, dass sich die beiden Singspiel-Köpfe Richard Oehmann und Stefan Betz diesmal ausgedacht haben. Und ein sehr cleveres. Denn der Nockherberg 2024 beginnt quasi auf der Heimfahrt von der Fastnacht in Veitshöchheim – dem anderen großen komödiantischen TV-Highlight rund um die bayerische Landespolitik. Alle stecken noch in ihren Kostümen. Aber was zum Teufel ist dann passiert? Es hat wohl mit dem Bus auf der Heimfahrt nach München einen Unfall gegeben. Markus Söder (Thomas Unger) erwacht in seinem Reichskanzler-Outfit – oh Schreck! – in einem Krankenhausbett mit Hubert Aiwanger. Das scheint für ihn fast noch schlimmer zu sein, als bei der Grünen Katharina Schulze (Sina Reiß), die neben CSU-Generalsekretär Martin Huber (Roland Schreglmann) die Augen aufschlägt. Wo sind sie da nur gelandet?

Man kann sich ausmalen, dass sich die Autoren die Köpfe zerbrochen haben: Wie soll man in politisch so aufgewühlten Zeiten mit Kriegen, aufgebrachten Demonstranten oder hohen Umfragezahlen für die AfD ein launiges Stück schreiben, das gleichzeitig die Stimmungslage der Zeit widerspiegelt. Die Lösung: Man begibt sich möglichst weit weg von der Realität, setzt nicht auf lange Dialoge mit Schenkelklopfern, sondern auf viel Gesang. Der Nockherberg hat schon bessere Singspiele erlebt. Aber dies liegt daran, dass Oehmann und Betz die Latte selbst sehr hoch gelegt hatten.

Die Musik (Leitung: Tobi Weber) funktioniert erneut ganz hervorragend. Gleich am Anfang, als Söder und Aiwanger im Bett ein Duett singen – immer dieselben Zeilen –, aber trotzdem nicht einsehen wollen, dass sie als Koalitionäre unter einer Decke stecken. Schön auch der Auftritt von Judith Toth, die erstmals Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber spielt und von ihrer Liebe zu Wurst, Fleisch und den Tieren singt. „Ein Tier fühlt sich wohl in Panade, im Reindl oder einfach am Spieß. / Ja, Kochkunst ist hier eine Gnade im bayerischen Tierparadies.“ Sehr böse. Aber vermutlich eher harmlos im Vergleich zur Rede von Maxi Schafroth.

Für Ärger zumindest im Norden des Freistaats könnten auch die Anspielungen auf die Qualität des Frankenweins sorgen, der dem furchtbar verkaterten Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter (Gerhard Wittmann) stark zusetzt. „Für einen mediterranen Typen wie mich ist Frankenwein Gift.“ Die Oberbayern im Saal amüsieren sich prächtig über Reiter, der sich (für Veitshöchheim) als Biene verkleidet hat. Sein an „Biene Maja“ angelegter Song ist einer der Höhepunkte: „In einem eher schwarzen Land / In einer eher grünen Stadt / Ist eine Biene sehr bekannt / Die einen roten Stachel hat / Und diese Biene, die ich meine, nennt sich Reiter / Oberbürgermeister Dieter Reiter“. Sein Kater ist wie weggeflogen. Gerhard Wittmann fegt über die Bühne wie eine lupenreine Rampensau.

Apropos Rampensau: Jahrelang war der Nockherberg von Markus Söder dominiert worden, den Stephan Zinner stets als breitbeinigen Haudrauf verkörpert hatte. Thomas Unger gibt den Ministerpräsidenten auch im zweiten Jahr zurückhaltender, was mehr Raum für die anderen Rollen lässt. Man setzt auf das, was sich bereits im letzten Jahr sehr gut bewährt hat: David Zimmerschied als Friedrich Merz, Thomas Limpinsel als Robert Habeck, Nikola Norgauer als Olaf Scholz und Christian Pfeil als Christian Lindner. Auch die Maske leistet ganze Arbeit.

Dass die alle nicht in Veitshöchheim waren? Geschenkt. Künstlerische Freiheit. Ganz wunderbar: Merz als Pippi-Landstrumpf, Lindner als „kleiner Prinz“ und Habeck als veganer Vampir. Für den Grünen war es gar nicht so leicht, das passende Kostüm zu finden. „Gerade als weiß gelesener Cis-Mann geht ja vieles nicht mehr.“ Aber als was ist eigentlich Olaf Scholz verkleidet? Der Kanzler hat nur ein kleines Hütchen auf – und da keiner versteht, was das darstellen soll, hilft er selbst: „Der große Zampano – einer der weiß, wo’s langgeht.“

Es ist viel feiner Humor in diesem Stück. Oft fast versteckt. Und manchmal auch richtig böse. Etwa als Reiter zu Schulze sagt: „Aber Sie sind ja noch jung. Sie können als Lobbyistin für einen Großkonzern durchstarten.“ Das wird nicht ausgeführt. Aber es geht voll gegen die grüne Ex-Bürgermeisterin Katrin Habenschaden, die jetzt bei der Bahn arbeitet. Und natürlich bekommt auch Aiwanger sein Fett weg. Erst singt sein Double einen Song über die „Hubertät“, dann sagt es, als ihm Söder auf der Bühne alte Fotos zeigt. „Das ist nur der Winnetou-Gruß!“

Irgendwann ist der Albtraum zu Ende. Und da ist sie die Realität. Ukraine und Israel, Überschwemmungen und Waldbrände. Sehr spät lässt sich der Nockherberg doch noch von der allgemeinen Negativstimmung anstecken. Dahin ist sie, die Unbeschwertheit. Dass sich dann alle Charaktere zur Beruhigung ein Cannabis-Zäpfen reinschieben? Nun ja. Über Humor lässt sich nicht streiten. Aber der Hubert Aiwanger im Stück würde wohl sagen: „Oh, Säckchen Zement!“

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