Teheran – Zum ersten Mal seit den Massenprotesten im Iran finden am Freitag Wahlen statt. Mehr als 61 Millionen Menschen sind aufgerufen, ein neues Parlament und den nur aus Geistlichen bestehenden sogenannten Expertenrat zu wählen. Doch das Interesse an der Abstimmung ist gering: Beobachter rechnen damit, dass mehr als die Hälfte der Iraner die Wahl boykottieren werden.
Ajatollah Ali Chamenei, der politische und religiöse Führer im Iran, wird wie immer als Erster seine Stimme abgeben, wenn um acht Uhr morgens die Wahllokale öffnen. 59 000 Stimmbüros stehen zur Verfügung.
Am Mittwoch appellierte Chamenei an die Iraner, in Massen zur Wahl zu gehen. „Die Feinde des Iran wollen sehen, ob das Volk anwesend ist“, sagte er in einer Ansprache an Erstwähler. Wenn nicht, „werden sie eure Sicherheit auf die eine oder andere Weise bedrohen“, warnte Chamenei. Mit „Feinden“ meint Chamenei wie immer den Westen, vor allem die USA und Israel.
Doch der Appell des Führers wird voraussichtlich ungehört bleiben. Schon bei der Parlamentswahl 2020 gaben nur 43 Prozent der Berechtigten ihre Stimme ab. Das war die niedrigste Wahlbeteiligung seit der Islamischen Revolution 1979. In Teheran gingen damals sogar nur 26 Prozent der Stimmberechtigten zur Wahl.
Seither ist die Unzufriedenheit mit der Führung weiter gewachsen. Nach dem Tod der 22-jährigen Kurdin Mahsa Amini in Polizeigewahrsam im September 2022 gingen die Iraner monatelang auf die Straße. Es war eine der größten Protestbewegungen in der Geschichte des Landes. Mehrere hundert Menschen wurden getötet, tausende verhaftet.
Hinzu kommen große wirtschaftliche Probleme. Viele Iraner kommen kaum über die Runden – angesichts einer Inflation von fast 50 Prozent. „Die Taschen der Leute sind leer“, sagt Mohsen Omidbachsch, ein 40 Jahre alter Angestellter aus Teheran. „Und ich glaube nicht, dass das nächste Parlament diese Situation ändern kann.“
Bei der Wahl werden die 290 Mitglieder des Parlaments für die nächsten vier Jahre bestimmt. Zugelassen wurde eine Rekordzahl von 15 200 Kandidaten, zugleich wurden jedoch auch mehr als 30 000 Bewerber ausgeschlossen. Gewählt werden auch die 88 Mitglieder des Expertenrats. Dieses Gremium besteht ausschließlich aus Geistlichen und ist für die Ernennung oder gegebenenfalls Entlassung des Obersten Führers zuständig. Seine Zusammensetzung entscheidet, wer dem 84 Jahre alten Chamenei nachfolgen wird.
Für den Expertenrat stehen 144 Kandidaten zur Wahl, aber einige namhafte Persönlichkeiten wurden disqualifiziert. So darf beispielsweise der ehemalige gemäßigte Präsident Hassan Rohani nicht mehr antreten.
Trotzdem rief Rohani nicht zum Boykott der Wahl auf – im Gegensatz zu den im Exil lebenden Oppositionellen. Wer mehr Freiheit wolle, müsse die Wahl zum Protest nutzen, sagte der Ex-Präsident am Mittwoch. Das wichtigste Bündnis reformorientierter Parteien, die Reformfront, kündigte allerdings an, sich nicht an diesen „bedeutungslosen Wahlen“ beteiligen zu wollen.