Putins alljährliche Propaganda-Show

von Redaktion

VON KATHRIN BRAUN

München – Auch ein Wladimir Putin will sich nicht ganz herzlos zeigen. „Russland wird sich immer an seine gefallenen Helden erinnern“, sagt der russische Präsident in seiner jährlichen Rede zur Lage der Nation. „Ich erkläre nun eine Schweigeminute.“ Exakt 15 Sekunden hält die Stille an, dann reicht es ihm, er lässt sein Publikum im Kreml wieder Platz nehmen. Genug getrauert, zurück zur Tagesordnung: Putin erklärt weiter – in aller Ausführlichkeit –, wie gut es doch gerade für Russland an der Front laufe. Wie viel „enorme Kampferfahrung“ die russischen Truppen mittlerweile gesammelt hätten.

Das klingt nicht so, als bedaure der Präsident, dass sich seine „Militäroperation“ seit mittlerweile zwei Jahren hinzieht. Was er seinem Volk am 24. Februar 2022 noch als kurzen, schmerzlosen Eingriff gegen „Nazis in der Ukraine“ verkauft hatte, nennt er heute einen gemeinsamen Kampf für die Souveränität Russlands: Leute schickten „Briefe und Pakete, warme Kleidung und Tarnnetze“ an die Front, sogar Geld aus ihren „teilweise sehr bescheidenen Ersparnissen“.

Putin verdreht diesen zähen und blutigen Stellungskrieg derart, dass es letztlich die russische Bevölkerung sein soll, die sich geschlossen und solidarisch gegen die Gefahren aus dem bösen Westen wehrt. Ob das die Russen zu Hause vor den Bildschirmen schlucken, ist kaum herauszufinden – die Vertreter der Staatsduma und des Föderationsrats auf den Zuschauerrängen nicken und klatschen jedenfalls gehorsam. Selbst als Putin auf einmal von der „Zerstörung der Zivilisation“ spricht. Da zuckt niemand. Gemeint ist das als Drohung an die Ukraine-Verbündeten: Alles, was sie jetzt „aushecken“ (gemeint ist Macrons Bodentruppen-Vorstoß), könnte in einem „Konflikt unter Einsatz von Atomwaffen“ enden. „Verstehen sie das etwa nicht?“ Im Gegensatz zu Russland hätten die westlichen Länder „längst vergessen“, was Krieg bedeutet. „Sie denken, das sei wie in einem Cartoon.“

Neu ist das nicht. In den vergangenen zwei Jahren hatte Putin immer wieder mit einem nuklearen Schlag gedroht. „Das ist kein Bluff“, beteuerte er im September 2022. Auch sonst bedient sich Putin in seiner mehr als zwei Stunden langen Ansprache Putin unvermindert aus seinem Archiv an Kriegs-Narrativen. Hätte er aus einem Propaganda-Handbuch vorgelesen – es hätte keinen großen Unterschied gemacht: Wir wollen den Krieg nicht, Schuld sind die anderen, wir kämpfen für eine gute Sache. Kein Realitätsbezug, keine Perspektiven für ein Ende des Krieges (oder wie es danach weitergehen soll), kein Wort zu Transnistrien, das derzeit ein besorgniserregendes Déjà-vu hervorruft. Denn so wie Putin wenige Tage vor dem Angriff auf sein Nachbarland die Separatistengebiete in der Ostukraine anerkannt hatte, befürchten jetzt viele ein ähnliches Schicksal für die prorussische Region in der Republik Moldau. Erst am Mittwoch hatten die Separatisten in dem Gebiet Moskau um „Schutz“ gebeten.

Doch in Putins Rede geht es nicht um Konfliktlösungen. Dafür aber um ganze viele Versprechen: mehr Geld fürs Gesundheitswesen, für Schulen, Familien mit Kindern. Klassische Wahlversprechen eben – dabei hätte er all das gar nicht nötig, um die Präsidentschaftswahl in zwei Wochen zu gewinnen. Putin hat seine Macht auch so schon zementiert.

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