Beerdigung von Alexej Nawalny

Der Mut der Verzweifelten

von Redaktion

VON MIKE SCHIER

Kurz vor der Beerdigung hatte das Regime noch mal die Muskeln spielen lassen: Nach anonymen Drohungen fand sich zunächst kein Bestatter, der den Sarg von Alexej Nawalny zum Friedhof transportieren wollte. Wie menschenverachtend! Unter diesen Vorzeichen überraschte es dann, wie viele am Freitag den Mut aufbrachten, sich von dem Regimegegner zu verabschieden.

Diese Trauerfeier war vor allem eine Demonstration gegen Wladimir Putin. Den Slogan „Nein zum Krieg!“ hatte man zuletzt kaum noch gehört. Kein Wunder: Immer wieder gab es Berichte, Kriegsgegner würden von Wladimir Putin direkt an die Front geschickt. Am Freitag brach sich dann ein Mut der Verzweiflung Bahn, den man nur bewundern kann. Zugleich sollte man sich aber im Westen davor hüten, daraus den Beginn einer breiten Bewegung abzuleiten. Putin-Kritiker hat es immer gegeben. Doch offener Protest bleibt meist auf die Großstädte beschränkt. Auch wenn man den offiziellen Umfragen nicht trauen kann, dürfte die staatliche Dauerpropaganda im Riesenreich ihre Spuren hinterlassen haben. Und angesichts der harten Repression der Sicherheitskräfte ziehen sich kritische Geister oft ins Private zurück.

Interessant ist auch, wer nicht zur Beerdigung kam: Nawalnys Witwe. Julia Nawalnaja hat zwar angekündigt, die Arbeit ihres Mannes fortsetzen zu wollen. Mit ihren Auftritten ist sie auf dem Weg, zur neuen Ikone des Widerstands zu werden. Aber seinen Fehler wollte sie offenbar nicht wiederholen. Alexej hatte sich nach dem Vergiftungsversuch auf den Weg nach Moskau gemacht. Es war sein letzter Tag in Freiheit.

Mike.Schier@ovb.net

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