„Diesmal stimmen mehr für den Taurus“

von Redaktion

München – Hohe Bundeswehr-Offiziere plaudern, die Russen hören mit. Der Lausch-Skandal um Luftwaffen-General Ingo Gerhartz beschäftigt das Land. FDP-Vize Wolfgang Kubicki (72) spricht im Interview mit unserer Zeitung über Konsequenzen aus dem Vorfall und kündigt einen FDP-Aufstand gegen den Kanzler bei der Taurus-Frage an.

Herr Kubicki, Offiziere besprechen heikelste Inhalte ungeschützt via Webex. Leichter kann man es den Russen nicht machen, oder?

Ich bin auch sehr verblüfft, dass höchste Bundeswehr-Generäle offenbar nicht damit rechnen, dass unsere potenziellen Gegner uns abhören. Das ist schon ein starkes Stück. Der Luftwaffeninspekteur muss sich erklären.

Wir reden pausenlos über die Zeitenwende, die selbst auf höchster Ebene nicht beherzigt wird…

Es ist ja keine neue Erfahrung, dass abgehört wird. Ich erinnere daran, dass auch unsere amerikanischen Freunde uns flächendeckend ausspioniert haben. Für mich ist es schwer nachvollziehbar, dass Menschen mit so hoher Sicherheitsstufe so unbedarft handeln. Das ist keine Frage des Krieges, sondern der persönlichen Einstellung. Wer so sorglos mit sicherheitsrelevanten Informationen umgeht, sollte sich fragen, ob er in dem Job noch etwas verloren hat.

Muss der Luftwaffeninspekteur zurücktreten?

Das muss ich gar nicht fordern, das werden sicherlich andere tun.

Die Offiziere sagen, dass es für die Steuerung von Taurus-Raketen keine Bundeswehr-Soldaten in der Ukraine braucht. Der Kanzler behauptet das Gegenteil. Ist er schlecht informiert oder lügt er?

Schwer zu sagen. Wir wissen ja, dass er gelegentlich Erinnerungslücken hat.

Im Ernst: Warum stemmt er sich so sehr gegen die Taurus-Lieferung?

Ich habe eine Vermutung. Gerhard Schröder hat gegen alle Widerstände eine Wahl gewonnen, als die USA in den Irak einmarschierten und die Deutschen sich nicht beteiligten. Scholz will dokumentieren, dass er alles tun will, um zu vermeiden, dass der Krieg sich bis auf unser Territorium frisst. Der nächste Wahlslogan der SPD könnte lauten: Besonnenheit rettet Leben.

Ihre Parteifreundin Agnes-Marie Strack-Zimmermann sagt indes: Stärke macht uns sicher. Wer hat Recht?

Man muss stark auftreten und trotzdem besonnen bleiben. Die Kollegin Strack-Zimmermann ist auch besonnen. Aber es gibt manche Menschen, die glauben, weil das Gute auf ihrer Seite ist, gewinnen sie jede Schlacht. Das halte ich für vermessen.

Also braucht es mehr Realismus im Ukraine-Krieg?

Ich musste mein Weltbild komplett ändern. Noch am Tag vor dem russischen Überfall hätte ich meine Jahresdiät gewettet, dass die Russen nicht angreifen, weil es einfach keinen Sinn macht. Spätestens der Krieg im Donbass hätte alle Alarmglocken klingeln lassen müssen. Aber wir wollten es nicht, wir wollten nur von Freunden umzingelt sein. Ich habe einige Zeit gebraucht, um mich davon zu erholen.

Ihre Lehre daraus?

Aufrüsten, so schnell es geht, und mit allem, was wir haben. Uns nützt ja die innere Befindlichkeit nichts, wenn das Risiko bleibt, dass die Russen auch uns angreifen.

Müssen wir Taurus jetzt erst recht liefern? Das Argument des Kanzlers ist ja nun dahin…

Ich bin dafür. Die spannende Frage ist jetzt, wie der Kanzler und seine Leute erklären, warum wir es nicht machen. Ich bin sicher, die Union wird nächste Woche wieder einen Antrag stellen und ich bin mir auch sicher, dass diesmal mehr Abgeordnete dafür stimmen werden, Taurus in die Ukraine zu liefern.

Auch aus Ihrer Partei?

Schon beim letzten Mal hätten mindestens ein Dutzend weitere Kolleginnen und Kollegen, die ich kenne, liebend gern dem Unions-Antrag zugestimmt, haben sich aber der Koalitionsdisziplin gefügt. Ich war auch kurz davor. Diesmal wäre für mich der Punkt erreicht, es zu tun. Die Union sollte nur nicht den Fehler machen, in ihrem Antrag auf den Kanzler oder die Ampel einzuprügeln. Zwei einfache Sätze zu Taurus und ich vermute, es gibt mindestens ein Dutzend Stimmen aus der FDP, die mitmachen.

Zusammenfassung: M. Mäckler

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