München – Noch liest sich die Tagesordnung für kommenden Donnerstag unspektakulär. Um neun Uhr kommt der Bundestag zusammen, um über die Empfehlungen des Bürgerrates zur Ernährungspolitik zu debattieren. Es wird um kostenlose Mittagessen für Kinder gehen und das angestrebte Verbot für Supermärkte, gut erhaltene Lebensmittel wegzuwerfen, wenn das Haltbarkeitsdatum abgelaufen ist. Wichtige Themen, aber die großen Schlagzeilen wird eher ein anderer Punkt machen, der gerade erst auf die Agenda rückt.
Dass die Union abermals einen Antrag zur Abstimmung stellen will, mit dem die Bundesregierung zur Lieferung von Taurus-Raketen an die Ukraine aufgefordert werden soll, hat sie schon vor Tagen angekündigt. Nun hat sie nachgelegt. Donnerstagvormittag, namentliche Abstimmung. Fraktionsgeschäftsführer Thorsten Frei sagte der „Rheinischen Post“, am Ende dieser Woche stehe Bundeskanzler Olaf Scholz „vor den Trümmern seiner haltlosen Kommunikation“. Es sei an der Zeit, „dass ihm die Abgeordneten den Weg aus der Sackgasse weisen“.
Das zielt nicht zuletzt auf die Vertreter der FDP ab. Parteivize Wolfgang Kubicki hatte gegenüber unserer Zeitung angedeutet, mindestens ein Dutzend Parlamentarier könnten einem Unions-Antrag zustimmen. Nicht genug für eine Mehrheit, aber allemal ein krachendes Signal.
Die Unruhe wächst. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich rief die Ampel-Partner gestern zu Geschlossenheit und mehr Disziplin auf. Mit Verweis auf Kubicki und andere Zwischenrufe – Mützenich bezeichnete sie unverblümt als Drohungen – wolle er „an den Koalitionsvertrag und die Vereinbarung erinnern, die wir uns zu Beginn unserer Zusammenarbeit gegeben haben“. Dort sei „das einheitliche Abstimmungsverhalten klar und deutlich festgeschrieben“ und gelte auch für Fragen, „die über den Inhalt des Koalitionsvertrages hinausgehen“. Zum Beispiel die Lieferung von Marschflugkörpern in Kriegsgebiete.
Dass die FDP-Verteidigungsexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann bereits vor zwei Wochen für einen Unions-Antrag zu Taurus-Lieferungen stimmte, war ungewöhnlich genug, aber offenbar nur der Anfang. „In Sachen Taurus-Lieferung ist die Messe noch nicht gelesen“, kündigte der Parlamentarische FDP-Geschäftsführer Stephan Thomae in der „Augsburger Allgemeinen“ an. Die Diskussion sei trotz Scholz’ Veto („Ich bin der Kanzler, und deshalb gilt das“) weiterhin „voll im Gange“.
CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen unterstellt Scholz, in der Taurus-Debatte nicht zuletzt aus Wahlkalkül so defensiv zu agieren. Der Kanzler verwende Begriffe wie „Atomkrieg, Eskalation und Kriegspartei“ und mache sich damit „die russische Angstrhetorik zu eigen“, unterstellt Röttgen. Das Motiv? „Weil seine Partei Scholz für die bevorstehenden Wahlkämpfe als Friedenskanzler inszenieren will.“
Auch diese These wird am Donnerstag ganz sicher zur Sprache kommen. Bereits einen Tag zuvor stellt sich Scholz, zum ersten Mal in diesem Jahr, im Parlament den Fragen der Abgeordneten. Das Thema Taurus wird ihn auch zu diesem Termin begleiten. MARC BEYER