München/Halle – Seit Monaten demonstrieren in Europa Landwirte, in dieser Woche besonders heftig: Die Proteste wenden sich gegen nationale politische Entscheidungen, aber auch gegen Einkommensverluste und überbordende Bürokratie. Unsere Bilder zeigen allesamt Proteste in dieser Woche. Der Agrarökonom Prof. Alfons Balmann, Direktor am Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien in Halle/Wittenberg, befürchtet eine Radikalisierung der Landwirtschaft.
Warum gehen in so vielen Ländern die Bauern auf die Barrikaden?
Da kommt einiges zusammen: Es gibt länderspezifische Aufhänger, wo Schuldige für eine wirtschaftlich schwierige Lage gesucht werden…
Wo zum Beispiel?
In Polen, Rumänien und Bulgarien sucht man die Schuld bei den Importen aus der Ukraine. In Griechenland ist es der Ärger über die schleppende Auszahlung von Hilfen für die Opfer der Flut im vergangenen Jahr. In Deutschland ist es die Streichung der Agrardiesel-Beihilfe verbunden mit der Sorge vor einer allzu grünen Politik. Daneben gibt es aber auch Ursachen, die überall wirken: niedrige Agrarpreise bei hohen Kosten für die Betriebsmittel, zunehmende Regulierung mit viel Bürokratie und hohen Auflagen. Nicht zuletzt haben Bauern Sorgen vor mehr internationalem Wettbewerb durch die angekündigte Integration der Ukraine in die EU und das angestrebte Mecosur-Abkommen der EU mit Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay. Es ist den Landwirten bewusst, dass etwas auf sie zukommt.
Sind die Demos ein Trend? Schaffen die Bilder mit den Traktor-Blockaden nicht auch Nachahmer?
Ja, es ist ein Trend. Die Proteste knüpfen im Grunde an die Demonstrationen von 2019 vor Beginn der Corona-Pandemie an. Auch damals gab es europaweite Proteste. Es gibt aber aktuell besondere Treiber wie die sozialen Medien und eine Bildung von Blasen, in denen die eigene Weltsicht bestätigt wird, in denen man sich gegenseitig aufputscht und gegen andere Argumente immunisiert. Das ist kein landwirtschaftsspezifisches Phänomen, jedoch passiert gerade viel im Hintergrund der Proteste.
Im spanischen Pamplona mussten Polizisten am Donnerstag mit Schlagstöcken die Stürmung des Parlaments verhindern. Befürchten Sie eine Radikalisierung der Bauern?
Im Grunde genommen sehen wir die ja schon. Auch in Deutschland sehen wir, dass Veranstaltungen der Grünen behindert werden oder dass jetzt in Brandenburg eine Bundesstraße mit Misthaufen blockiert wurde – wobei man da fragen muss, wer eigentlich dahinter steckt, zumal sich der Bauernverband davon deutlich distanziert. Es gibt aber auch eine Zukunftsangst. Viele kleinere Betriebe, das ist die Mehrzahl und insbesondere in Süddeutschland verbreitet, wirtschaften mit kaum zeitgemäßen Technologien und sind wenig rentabel. Viele moderne Betriebe wirtschaften mit einem enormen Kapitaleinsatz und spüren die gestiegenen Zinsen. Die Preise für Getreide haben sich seit Sommer 2022 wieder halbiert, die Kosten für Energie, Düngemittel und Maschinen sind aber immer noch auf hohem Niveau.
Werden jetzt zum Frühjahr die Proteste aufhören, wenn die Bauern die Feldarbeit wieder aufnehmen?
Die Proteste mögen zurückgehen, die Unzufriedenheit bleibt. Letztere ist ja auch in den vergangenen Jahren latent vorhanden gewesen. Mit Blick auf die Radikalisierungstendenzen stellt sich in Deutschland die Frage, ob der Bauernverband diese wieder einfangen kann. 2019 hat der Verband erlebt, dass die Bewegung „Land schafft Verbindung“ ihm sozusagen die Butter vom Brot genommen hat. Dem wollte er beim jetzigen Streit um die Agrardieselbeihilfe offensichtlich durch markige Worte begegnen.
Was kann der Bauernverband in dieser Situation tun?
Der Bauernverband steht jetzt vor der Frage, wie er die Landwirtschaft zusammenhalten kann und zugleich, wie er konstruktiv zu politischen Lösungen beitragen kann, die kaum alle Mitglieder erfreuen werden. Wenn er diesen Spagat nicht schafft, besteht die Gefahr, dass er politisch weniger ernst genommen wird: von Bauern, die sich zunehmend radikalisieren, und von der Öffentlichkeit, die ja auf die Dieselproteste zunächst sehr positiv reagiert hat.
Das Interview führte Claudia Möllers