Helsinki – Der Kalte Krieg war vorbei, mit dem Fall der Mauer schien es nicht mehr nötig, Milliarden in Zivilschutzanlagen zu investieren. So beschlossen Bund und Länder 2007, öffentliche Schutzräume nicht weiter zu erhalten und schrittweise rück- oder umzubauen. So wurde aus dem Regierungsbunker Marienthal, in dem die Bundesregierung im Kriegsfall Zuflucht suchen sollte, eine Touristenattraktion. Doch angesichts russischer Drohungen gegen den Westen wird der Zivilschutz wieder dringlicher: Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) reiste deshalb nach Finnland, das beim Schutz der Zivilbevölkerung viel weiter ist als Deutschland.
Der Minister besuchte in Helsinki die Zivilschutzanlage Merihaka, Teil der aufwendigen Bunkeranlagen für die Bevölkerung. In Friedenszeiten wird Merihaka als Sportzentrum genutzt, andere Schutzräume dienen als Fitness- oder Einkaufszentren – mit dem Vorteil, dass Sanitäranlagen stetig in Gebrauch sind und die Anlagen nicht nur Kosten verursachen, sondern auch in Friedenszeiten Nutzen bringen.
Insgesamt gibt es allein in den Bunkeranlagen Helsinkis Platz für 900 000 Menschen, mehr als die Stadt Einwohner hat. Selbst im Kalten Krieg habe Deutschland nur Bunkerplätze für zehn Prozent der Bevölkerung gehabt, sagte Pistorius. Die Stärkung des Zivilschutzes müsse schnell angegangen werden, „weil natürlich der Schutz der Bevölkerung immer die Kehrseite einer militärischen Bedrohung und der Verteidigungsfähigkeit ist“, erklärte der SPD-Politiker. Über das Thema werde im Bundeskabinett zu sprechen sein.
Martin Voss, Professor für Katastrophenforschung an der Freien Universität Berlin, erklärte im Gespräch mit unserer Zeitung, dass vor allen anderen Maßnahmen die Gesellschaft sich mit der neuen Bedrohungslage auseinandersetzen und sie bewerten müsse. „Wenn wir nicht öffentlich diskutieren können, ob bzw. was zu tun ist, sind wir auf jeden Fall wehrlos.“ Dann müsse darüber entschieden werden, wie viel Geld wir in den Zivilschutz investieren wollen. „Wenn der Haushalt unter FDP-Führung nicht an der Schuldenbremse kratzen soll, brauchen wir nicht über teure Bunker zu reden.“ An zweiter Stelle sollte eine ganz grundlegende Analyse stehen, wo unsere neuralgischen Punkte sind, die wir besser schützen müssen. Voss: „Das Beispiel Tesla hat gezeigt, wie anfällig wir sind, wenn eine Produktionsanlage an einem einzigen Stromverteiler hängt.“
Das Beispiel des Hochwassers 2021, so Voss weiter, habe gezeigt, dass es nicht allein um technische Fragen gehe. „Es fehlen überall Personalressourcen und Kapazitäten und die viel zu wenigen, die da jeweils sind, sind überfordert, wenn etwas geschieht, was es so lange oder überhaupt noch nicht gab.“ Die Gesellschaft müsse deshalb lernen, über Gefahren besser miteinander zu kommunizieren. Aber auch der Ausbau der Warninfrastruktur sollte vorangetrieben werden. Falls man das Geld für neue Schutzräume investieren wolle, müsse auch überlegt werden, auf welche Szenarien man sich vorbereiten will: „Die Vorwarnzeiten für Atomangriffe sind so kurz, dass kaum jemand Schutz finden könnte, selbst wenn wir Atombunker hätten.“ In den 70er- und 80er-Jahren sei der Ausbau des Kellers zum Atombunker gefördert worden. „Das diente aber eher der Beschwichtigung der Bevölkerung als wirklich dem Schutz“, so der Experte. KLAUS RIMPEL