München/Berlin – Es fährt kein Zug nach Nirgendwo, aber was gerade anrollt, ist großer Zorn. In Politik und Wirtschaft häufen sich Forderungen, das Streikrecht zumindest für Extremfälle einzuschränken. Wer einen Ausstand in einem wichtigen Bereich der Infrastruktur plant, soll das künftig mit einigen Tagen Vorlauf ankündigen müssen, so die Ideen. Und sollten bei den Verhandlungsführern allzu große Sturköpfe aufeinanderprallen, soll es eine Art Pflicht zur Schlichtung geben.
Von zwei Seiten kommen solche Ideen in der Politik: FDP und CSU greifen das auf. Die bayerischen Liberalen haben soeben einen Antrag für eine „Ankündigungspflicht eines Streiks von 96 Stunden“ verabschiedet. Mehrtägige Streiks im Bereich der kritischen Infrastruktur – dazu zählen Bahn und Flugbetrieb – dürfe es zudem nur geben, „wenn ein Schlichtungsverfahren erfolglos geblieben ist“. Also eine Umkehr der bisherigen Praxis, erst zu streiken und sich dann zur Schlichtung zusammenzufinden. „Wenn das Streikrecht von einer Mini-Gewerkschaft derart missbraucht wird, müssen wir es reformieren“, sagt FDP-Landeschef Martin Hagen mit Blick auf die GDL, ihren Boss Weselsky und dessen „rücksichtslosem Konfrontationskurs“. Bundestags-Fraktionschef Christian Dürr spricht etwas vage von einer „Prüfung“ der Regeln.
CSU-Generalsekretär Martin Huber geht weiter. „Millionen Pendler werden in Geiselhaft genommen“, sagte er unserer Zeitung. Es gehe Weselsky nur um „Chaos“, er missbrauche das Streikrecht „für persönliche Machtfantasien“. Huber fordert ein Eingreifen des Bundes als Bahn-Eigentümer, um die Verhandlungsführer bei GDL und Bahn auszutauschen. Auch er fordert, es dürfe erst nach einem gescheiterten Schlichtungsverfahren gestreikt werden. Und: „Streiks müssen eine Woche vor Beginn angekündigt werden und zeitlich befristet sein.“
Die Bundesregierung allerdings will nicht eingreifen, die Stimmen des Koalitionspartners FDP machen bisher keinen Eindruck. „Wir mischen uns in Tarifverhandlungen grundsätzlich nicht ein“, teilt ein Regierungssprecher mit. Die Tarifautonomie gelte auch, wenn es unbequem werde. Änderungen am Streikrecht strebe man nicht an, auch nicht für die kritische Infrastruktur.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte Überlegungen zu einer möglichen Gesetzesänderung mit Blick auf Streiks der GDL schon Ende Januar zurückgewiesen. Deutschland habe „aus guten Gründen ein sehr gutes Verfassungsrecht“, sagte er. Das Recht, sich zu Gewerkschaften zusammenzuschließen und Arbeitskämpfe zu führen, „gehört zu den Freiheiten, die in unserem Grundgesetz so fest geregelt sind, dass sie nicht einfach abgeschafft werden können, auch nicht durch Gesetze“.
Tatsächlich mag es populär klingen, Gesetze zu verschärfen – es gibt aber kaum welche. Das Streikrecht fußt auf dem Grundrecht der Koalitionsfreiheit. Es ist ansonsten überwiegend durch die Rechtsprechung geregelt, vor allem durch das Bundesarbeitsgericht. Gestern Abend zeigte sich einmal mehr: Arbeitsgerichte neigen nicht dazu, gegen diese Streiks einzuschreiten. „Gesetzliche Regelungen, die das Streikrecht für bestimmte Bereiche der Daseinsvorsorge einschränken, bestehen in Deutschland nicht“, fasst der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags lapidar in einem Sachstandsbericht zusammen. Eine Vorwarnzeit ist ebenfalls gesetzlich nicht geregelt. Experten halten ein neues Gesetz, etwa ein „Schlichtungsgesetz“, aber für durchaus möglich.