Berlin – Die Wehrbeauftragte Eva Högl (SPD) hat im zweiten Jahr der militärischen Zeitenwende kaum substanzielle Verbesserungen bei Personal, Material und Infrastruktur in der Bundeswehr festgestellt. Zudem steuern die deutschen Streitkräfte nach ihrer Einschätzung auf erhebliche Personalprobleme zu. Ihr Jahresbericht benennt die wichtigsten Baustellen für den Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD):
Personal: „Die Truppe altert und schrumpft immer weiter“, warnt Högl. Etliche Verbände hätten große „Personalvakanzen“. Zum Stichtag 31. Dezember dienten 181 514 Soldatinnen und Soldaten in der Bundeswehr, 1537 weniger als im Vorjahr. Es seien mehr als 20 000 Stellen unbesetzt, mehr als 17 Prozent. Zu gering sei die Frauenquote mit etwa 15 Prozent. Keine Verbesserungen gebe es bei der Zahl von Frauen in Führungspositionen. „Das muss besser werden“, sagte Högl. Sorge mache ein Anstieg bei sexuellen Übergriffen. „Es muss eine klare rote Linie geben“, forderte sie. Insgesamt führe der Personalmangel und die Vielzahl von Aufträgen zu einer enormen Arbeitsbelastung. Högl hofft, dass noch die jetzige Regierung ein „grobes Konzept“ für eine Dienstpflicht hinbekommt, das dann in der nächsten Legislatur umgesetzt werden könne.
Ausrüstung: „Es mangelt an Material vom Großgerät bis hin zu Ersatzteilen. Durch die Abgabe an die Ukraine ist der Mangel noch größer geworden“, schreibt Högl. Unter den Soldaten gebe es Zustimmung für die Ukraine-Hilfe. Lücken bei Munition und Ersatzteilen ließen sich trotz schnellerer Beschaffung aber nur mittelfristig schließen. Die Bundeswehr könne nach Einschätzung des Ministeriums ihre Bündnisverpflichtungen in der Nato erfüllen, müsse aber „weiterhin schwerwiegende Einschränkungen hinnehmen“. Lichtblick: Die persönliche Ausrüstung für die einzelnen Soldaten sei inzwischen ausreichend vorhanden.
Bürokratie und Beschaffung: Högl beklagt überbürokratisierte Prozesse und Strukturen in der Bundeswehr. Sie schreibt, es seien aber im vergangenen Jahr „in vielen Bereichen wichtige Weichen“ gestellt worden, ohne dass die Bundeswehr am Ziel sei. Infrastruktur: Die Lage in Kasernen und Dienststellen sei vielerorts desaströs. „Mich erreichen Schreiben von Eltern, deren Kinder soeben den Dienst angetreten haben – in Kasernen mit maroden Stuben, verschimmelten Duschen und verstopften Toiletten.“ Der schlechte Zustand der Kasernen sei teils beschämend und dem Dienst der Soldaten unangemessen. Es gebe eine Verantwortung von Landesbehörden, die entgegen den Interessen der Bundeswehr eigene Bauvorhaben priorisieren. Högl mahnt: „Wünschenswert wären unter anderem eine zügige Prüfung und Billigung von Vorhaben durch das Bundesministerium der Finanzen.“
Verteidigungsausgaben: Mit 58,5 Milliarden Euro insgesamt seien die für die Streitkräfte bereitgestellten Gelder 2023 gegenüber den Vorjahren deutlich gestiegen. Zwar sei der Verteidigungsetat selbst („Einzelplan 14“) mit 50,1 Milliarden Euro gegenüber 50,4 Milliarden 2022 etwas geringer ausgefallen. Aus dem 100 Milliarden Euro umfassenden Sondervermögen für die Bundeswehr standen aber zusätzlich rund 8,4 Milliarden Euro zur Verfügung. Das Zwei-Prozent-Ziel der Nato sei damit 2023 noch nicht erreicht, „auch wenn sich dies mit dem Haushalt 2024 voraussichtlich ändern wird“. Nach Ausschöpfen des Sondervermögens sei Ende 2027 „eine deutliche Erhöhung des Verteidigungsetats in einer Größenordnung von mehreren Milliarden Euro notwendig“. C. HOFFMANN