Putins Scheinwahl beginnt heute

von Redaktion

VON HANNAH WAGNER UND ANDRÉ BALLIN

Moskau – Der Protest gegen die manipulierte Wahl in Russland ist kreativ: Am Sonntag, genau um 12 Uhr Ortszeit, sollen Oppositionelle in die Wahllokale gehen. Damit wollen sie ein legales, sichtbares Zeichen des Protests geben. Doch ansonsten sind die Nachrichten rund um die Präsidentschaftswahl in dem riesigen Land eher bedrückend. Gegenkandidaten gibt es nicht, echte Oppositionspolitiker sind entweder ins Ausland geflohen, festgenommen – oder wie Mitte Februar der inhaftierte Kremlgegner Alexej Nawalny zu Tode gekommen.

Nur im (halbwegs) sicheren Ausland gibt es harsche Proteste gegen die weder freie noch faire Wahl. Nawalnys Witwe lässt in einem Gastbeitrag der „Washington Post“ wissen, was sie von den Wahlen in Russland und dem Alleinherrscher im Kreml hält: nämlich nichts. „Putin ist kein Politiker, er ist ein Gangster“, schreibt sie. Leider sähen ihn zu viele Menschen im Westen noch immer als legitimen politischen Führer, diskutierten über seine Ideologie und suchten nach dem politischen Sinn seines Handelns. Seine Brutalität, sein Hang zum Luxus und sein Wille zu töten zeigten, dass er kein Politiker sei. Das Ausland solle ihm die Anerkennung verweigern und die Möglichkeiten zur Bereicherung beschneiden.

Wladimir Putin strebt unterdessen seine fünfte Amtszeit an und überlässt bei den Wahlen nichts dem Zufall. Von heute bis Sonntag sind 112 Millionen Menschen in elf Zeitzonen zur Wahl aufgerufen. Hinzu kommen rund zwei Millionen Wahlberechtigte in anderen Ländern. Die Wahl beginnt im äußersten Osten und endet am Sonntag um 19 Uhr MEZ im Westen der Ostsee-Enklave Kaliningrad. Beobachter sagen einen haushohen Sieg Putins voraus – 82 Prozent Zustimmung werden ihm vorausgesagt. Das wären so viel wie nie seit seinem Amtsantritt als russischer Staatschef vor fast einem Vierteljahrhundert im Jahr 2000. Das Ergebnis will die Wahlkommission spätestens am 28. März verkünden.

Die Scheinabstimmungen in den besetzten Gebieten sind völkerrechtswidrig und deshalb international nicht anerkannt. Trotzdem haben dort die Wahlen bereits begonnen – es gibt Bilder, die zeigen, wie ukrainische Menschen zum Teil in Anwesenheit schwer bewaffneter russischer Soldaten zur Stimmabgabe gedrängt werden. Neben Donezk, Luhansk, Saporischja und Cherson soll Moskau auch Abstimmungen auf der annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim organisiert haben. Doch auch in einzelnen russischen Regionen sei im Vorfeld „massenhaft“ Druck auf Angestellte großer, teils staatlicher Unternehmen ausgeübt worden, um die Wahlbeteiligung in die Höhe zu treiben.

Aber auch das ist die Wahrheit in Russland: Es gibt eine hohe Zustimmung zu dem Langzeitpräsidenten. Erklären lässt sich das Experten zufolge einerseits mit dem Wunsch vieler Russen nach Stabilität – aber vor allem auch mit der professionellen Propagandamaschinerie. Insbesondere seit dem Kriegsbeginn in der Ukraine schwört Putin seine Landsleute regelrecht darauf ein, dass Russland sich gegen eine Bedrohung durch einen „kollektiven Westen“ zur Wehr setzen müsse, weil sonst angeblich die Sicherheit des Landes in Gefahr sei. Das verfängt bei vielen Menschen.

Das zu erwartende hohe Wahlergebnis wird Putin – da sind sich die Experten einig – dazu nutzen, um die angeblich riesige Zustimmung für seinen brutalen Angriffskrieg zu unterstreichen. Zugleich wird in Russland eine zunehmende Kriegsmüdigkeit sichtbar – so gibt es Proteste von Ehefrauen eingezogener Männer, die seit Wochen immer wieder in der Nähe des Roten Platzes zu sehen sind.

In der Ostsee-Enklave Kaliningrad wird sogar mit lukrativen Gewinnen um die Wahlbeteiligung geworben. Es hat Tradition in russischen Wahllokalen, dass mit kleinen Leckereien gelockt wird. Aber in einem Vorraum einer Bank verspricht ein Plakat in einer Lotterie am Wahltag Autos oder sogar Wohnungen als Gewinn. Zur Verfügung gestellt werden die Preise von einem sogenannten Baltischen Geschäftsclub, dessen Mitglieder sich als „echte Patrioten ihrer Region“ bezeichnen. Wachmann Andrej weiß noch nicht, ob er abstimmen geht. „Aber wahrscheinlich schon“, sagt er mit Blick auf das Plakat.

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