Brüssel – Nach langem Ringen unterstützt eine ausreichende Mehrheit der EU-Staaten ein abgeschwächtes europäisches Lieferkettengesetz zum Schutz der Menschenrechte. Das teilte die belgische Ratspräsidentschaft mit. Damit wurde Deutschland überstimmt, das sich im Ausschuss der ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten enthielt. Eine Enthaltung wirkt wie eine Nein-Stimme.
In der Bundesregierung drängte die FDP darauf, dass Deutschland nicht zustimmt. Die Liberalen befürchten etwa, dass sich Betriebe aus Angst vor Bürokratie und rechtlichen Risiken aus Europa zurückziehen. Politiker von SPD und Grünen befürworten indes das Vorhaben.
Unterhändler des Europaparlaments und der EU-Staaten hatten sich bereits im Dezember auf ein Lieferkettengesetz geeinigt. Damit sollen große Unternehmen zur Rechenschaft gezogen werden, wenn sie etwa von Kinder- oder Zwangsarbeit außerhalb der EU profitieren. Das EU-Parlament muss dem Vorhaben noch zustimmen. Eine Mehrheit gilt als wahrscheinlich.
Weil die Einigung vom Dezember zunächst keine ausreichende Mehrheit gefunden hatte, wurde das Vorhaben noch mal deutlich abgeschwächt. Statt wie ursprünglich geplant soll es etwa nicht mehr für Firmen mit mehr als 500 Beschäftigten und mindestens 150 Millionen Euro Umsatz gelten. Die Grenze wurde den Angaben zufolge auf 1000 Beschäftigte und 450 Millionen Euro angehoben – nach einer Übergangsfrist von fünf Jahren. An diesen Bereich soll sich stufenweise herangetastet werden.
Zudem wurden sogenannte Risikosektoren gestrichen, also Wirtschaftszweige, in denen das Risiko für Menschenrechtsverletzungen höher bewertet wird wie etwa in der Landwirtschaft oder der Textilindustrie. Vorgesehen ist aber weiterhin, dass Unternehmen vor europäischen Gerichten zur Rechenschaft gezogen werden können, wenn sie von Menschenrechtsverletzungen profitieren.
Deutschland hat bereits ein Lieferkettengesetz. Die EU-Version geht aber trotz der Abschwächungen über dessen Vorgaben hinaus. So ist im deutschen Gesetz ausgeschlossen, dass Unternehmen für Sorgfaltspflichtverletzungen haftbar sind.
Die Vorsitzende des Binnenmarktausschusses im EU-Parlament, Anna Cavazzini, kritisierte: „Deals zwischen Regierungen und immer weitere Abschwächungen eines ausgehandelten Texts haben das etablierte Gesetzgebungsverfahren missachtet und das Europaparlament düpiert.“ Die FDP habe ihre Blockadehaltung bis zum Schluss beibehalten, obwohl der vorgeschlagene Kompromiss ihren Forderungen entgegengekommen sei.
Die FDP bekräftigte ihre Grundsatzkritik. „Wir hätten uns eine bürokratieärmere und praxistaugliche Lieferkettenrichtlinie gewünscht“, sagte Parteichef Christian Lindner. Er kritisierte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. „Der Widerstand war nicht umsonst. Frau von der Leyen musste wesentlich abrüsten bei ihren Plänen. Dennoch wäre es besser gewesen, auf diese Richtlinie in dieser Form ganz zu verzichten.“
Die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) sieht das Vorhaben trotz der Änderungen kritisch. Diese seien aus Sicht der Wirtschaft zwar positiv zu bewerten, aber „auch leicht abgespeckt bleibt die EU-Lieferkettenrichtlinie wenig praxistauglich und wird viel Bürokratie mit sich bringen“, sagte DIHK-Präsident Peter Adrian. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) sprach von einem „weiteren Rückschlag für Europas Wettbewerbsfähigkeit“.