München – Russland wählt – aber der Sieger steht schon fest. Sarkastisch gratulierte EU-Ratspräsident Charles Michel Wladimir Putin schon bei Öffnung der Wahllokale am Freitag zum „Erdrutschsieg“. „Keine Opposition. Keine Freiheit. Keine Auswahl“, erklärte der Belgier Michel. Tatsächlich sind neben Putin nur drei chancenlose Mitbewerber als Wahl-Feigenblatt zugelassen, die alle auf Kreml-Linie sind.
Die einzigen wirklich oppositionellen Bewerber Jekaterina Dunzowa und Boris Nadeschdin wurden von der Wahlkommission gar nicht erst zugelassen. Die Kandidatur der 40-Jährigen wurde nach Angaben ihrer Unterstützer im Dezember abgelehnt, weil es bei einzelnen Namen auf der für die Kandidatur nötigen Unterstützer-Unterschriften Buchstabendreher gegeben habe.
Die Wahlkommission sprach von „schweren Fehlern“ in den Wahlunterlagen. Ella Pamfilowa, Chefin der Wahlkommission und Putin-Vertraute, gab der Oppositionellen als Ratschlag auf den Weg: „Sie sind eine junge Frau, Sie haben noch alles vor sich. Jedes Minus kann man in ein Plus umdrehen. Jede Erfahrung ist eine Erfahrung.“
Doch Dunzowa denkt nicht daran, sich dem Regime anzubiedern – und auch nicht daran, ins Exil zu fliehen. Die erklärte Gegnerin des Angriffs auf die Ukraine forderte wie Julija Nawalnaja alle Putin-Gegner dazu auf, am Sonntag, dem letzten der drei Wahltage, um Punkt zwölf Uhr im Wahllokal zu erscheinen.
Die Idee hinter der Aktion: Wenn alle gleichzeitig zum Wählen gehen, werden die Wahllokale überlastet. Dieser „Mittag gegen Putin“, wie ihn die Opposition nennt, soll als legale Möglichkeit dienen, den Unmut gegen das Regime Putins zu äußern. Offen ist, wie viele Russen den Mut haben werden, sich an der Aktion zu beteiligen: Die russische Staatsanwaltschaft drohte, jegliche Form des Protests als Straftat zu ahnden.
Dunzowa jedenfalls will sich trotz der Morde, der Prügel und Verhaftungen von Putin-Gegnern nicht einschüchtern lassen. Ihre meist jungen Anhänger hoffen, dass sie nach dem Tod Alexej Nawalnys die neue Führungsfigur der noch in Russland verbliebenen Kritiker werden könnte.
Längst laufen die Schikanen gegen sie: Sie wurde in die örtliche Polizeibehörde zitiert, wo ihr unter anderem Fragen zu ihre Haltung zur „Spezialoperation“ in der Ukraine gestellt wurden. Dunzowa berief sich auf ihr Recht zur Aussageverweigerung. Ihr Bankkonto bei der staatlichen Bank VTB wurde eingefroren – mit der Begründung, sie bekomme Gelder vom im Exil lebenden Putin-Gegner Michail Chodorkowski.
Dunzowa, die zuvor nur als Stadträtin in der russischen Provinz aktiv war, gründete nach ihrer gescheiterten Präsidentschaftskandidatur eine eigene Partei namens Morgendämmerung. Sie lehne es ab aufzugeben. „Wir müssen handeln, um unserer Stimme Gehör zu verschaffen“, erklärte sie. Sie hoffe, dass die Russen so „das Recht erhalten, ohne Angst zu leben, frei zu sprechen und Vertrauen in die Zukunft zu haben“. Sie fordert Frieden mit Kiew, ein Ende der Diskriminierung von Homosexuellen und die Freilassung aller politischen Gefangenen in Russland.
Zur Rolle der im Exil lebenden Witwe Nawalnys als mögliche neue Führungsfigur der Putin-Gegner sagte Dunzowa dem ZDF: „Meiner Meinung nach ist es unmöglich, Anführer der russischen Opposition zu werden, ohne in Russland zu sein.“ Dunzowa arbeitete 16 Jahre lang beim lokalen TV-Sender in Rschew (200 Kilometer westlich von Moskau), war dort auch Chefredakteurin. Sie hat zwei Töchter und einen Sohn, die sie als alleinerziehende Mutter aufzog.
Russland befinde sich auf dem Pfad der „Selbstzerstörung“. Es gehe ihr darum, dass ihre Kinder in einem besseren Russland werden leben können, so begründet die 40-Jährige ihr Engagement.