Scholz erlebt frostiges Treffen mit Netanjahu

von Redaktion

Offener Streit über Rafah-Offensive – Kanzler redet israelischem Regierungschef ins Gewissen

Jerusalem – Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat bei seiner Nahost-Reise das Vorgehen Israels im Krieg gegen die Hamas offen infrage gestellt: Bei einem gemeinsamen Pressetermin mit dem israelischen Ministerpräsidenten legte er Benjamin Netanjahu gestern in Jerusalem nahe, seine Strategie im Gazastreifen zu überdenken.

In den gut fünf Monaten des Krieges sei die Zahl der zivilen Opfer extrem hoch gewesen, „viele würden sagen zu hoch“, sagte Scholz. „Egal, wie wichtig das Ziel auch sein mag, kann es so schrecklich hohe Kosten rechtfertigen, oder gibt es andere Wege, dieses Ziel zu erreichen?“, fragte Scholz.

Netanjahu erklärte dagegen, dass er sich mit dem deutschen Gast darin einig gewesen sei, dass „die Hamas eliminiert werden muss“. Es werde keinen Frieden geben, solange die islamistische Terrororganisation im Gazastreifen bestehen bleibt, sagte er. „Wir haben keine Zukunft, wenn die Hamas, die zum Genozid an uns entschlossen ist, intakt bleibt.“

Netanjahu hatte am Freitag eine Bodenoffensive in der Stadt Rafah an der Grenze zu Ägypten genehmigt. Dort haben rund 1,5 der mehr als 2,2 Millionen im Gazastreifen lebenden Menschen Zuflucht gesucht. Hilfsorganisationen sprechen von katastrophalen Bedingungen. Die Verbündeten Israels und die internationalen Helfer befürchten hohe Todeszahlen, sollte Israel eine Militäroperation beginnen.

Netanjahu versicherte, vor der geplanten Offensive werde die Zivilbevölkerung in Sicherheit gebracht. Scholz stellte die Frage, wie 1,5 Millionen geschützt werden oder wohin sie gebracht werden sollten. Der Terror könne nicht allein mit militärischen Mitteln besiegt werden, sagte der Kanzler. Es brauche eine positive Perspektive für beide Völker, „für eine Zukunft, in der sich die Palästinenser verantwortungsvoll um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern und sich selbst regieren können“.

Das Treffen der beiden Regierungschefs begann bereits unter frostigen Bedingungen. Scholz hatte vor seinem Israel-Besuch im jordanischen Seebad Akaba den jordanischen König Abdullah II. getroffen. Dort hatte er noch deutlicher vor der Bodenoffensive in Rafah gewarnt: „Es ist ganz klar, dass wir jetzt alles dafür tun müssen, dass die Situation nicht noch schlimmer wird als sie ist“, sagte der SPD-Politiker. „Ich glaube, dass eine große Zahl von Opfern bei einer solchen Offensive jede friedliche Entwicklung dann sehr schwer machen würde. Das wissen auch viele in Israel.“

Netanjahu machte unmittelbar vor seinem Treffen mit Scholz dagegen klar, dass er an einem Militäreinsatz in Rafah festhalte und ein Ende des Gaza-Krieges vor Erreichen aller israelischen Ziele entschieden ablehne. Sein Büro sagte die Pressekonferenz mit Scholz erst mal ab, ließ sie später aber doch noch stattfinden.

Neben Netanjahu wollte Scholz in Jerusalem auch mit Präsident Izchak Herzog, Minister Benny Gantz sowie Angehörigen von Geiseln sprechen. Man geht davon aus, dass noch rund 100 von ihnen am Leben sind.

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