Moskau – Kaum war sein Wahlsieg offiziell verkündet worden, hat sich Wladimir Putin seinen Landsleuten wieder als Retter Russlands präsentiert. „Egal wie sehr sie uns einschüchtern wollen, egal wie sehr sie uns unterdrücken wollen – so etwas ist in der Geschichte noch nie jemandem gelungen“, beschwor der alte und neue Präsident am Sonntagabend die Einheit des Landes. Sein Sieg galt von vornherein als ausgemacht – alle bekannteren Kritiker des Kreml-Chefs sind entweder tot, inhaftiert oder im Exil.
Dann passierte etwas Ungewöhnliches: Das erste Mal seit Jahren nannte Putin Oppositionsführer Alexej Nawalny beim Namen. „Was Herrn Nawalny angeht. Ja, er ist gestorben. Dies ist ein trauriger Vorfall“, sagte Putin im Staatsfernsehen. Der Kreml-Chef bestätigte außerdem, dass er kurz vor dem Tod Nawalnys zu einem Gefangenenaustausch bereit gewesen sei. Es habe die Idee gegeben, Nawalny gegen einige Leute auszutauschen, die in westlichen Ländern im Gefängnis sitzen. „Ich habe gesagt: ,Ich bin einverstanden’“, sagte Putin. Kurz darauf ist Nawalny in dem Straflager nördlich des Polarkreises gestorben.
Trotz Drohungen der Behörden mit harten Strafen hatte es am Rande der Wahl einzelne Protestaktionen gegeben. Laut der Bürgerrechtsorganisation OWD-Info wurden mindestens 80 Menschen festgenommen. Die Behörden meldeten Festnahmen wegen „Vandalismus“. Demnach gossen Menschen in Wahllokalen grünen Farbstoff in Wahlurnen, zudem zündeten Wähler bei der Stimmabgabe Molotowcocktails oder Feuerwerkskörper.
Putin sagte, die Protestaktionen hätten „keine Auswirkung“ auf die Wahl gehabt – er hat sich 87,3 Prozent der Stimmen zusprechen lassen. Putin kündigte an, die Behörden würden sich jedoch mit denjenigen „befassen“, „die ihre Stimmzettel zerstört haben“.
Kreml-Sprecher Dmitri Peskow hat das Wahlergebnis als „außergewöhnlich“ bezeichnet – es sei „eine deutliche Bestätigung der Unterstützung unserer Bevölkerung für ihren Staatschef“, erklärte Peskow. Er wandte sich zudem gegen Julia Nawalnaja, die Witwe von Alexej Nawalny. Auf die Nachfrage eines Journalisten sagte Peskow: „Diese Julia Nawalnaja, die Sie erwähnt haben, gehört immer mehr zu jenen Menschen, die ihre Wurzeln verlieren, ihre Verbindung zum Vaterland verlieren, ihr Verständnis für ihr Vaterland verlieren, den Puls ihres Landes nicht mehr spüren.“ Nawalnaja hatte Putin-Gegner zuvor aufgerufen, als Zeichen des Protests mittags in Massen in die Wahllokale zu strömen. Sie forderte die Wähler auf, für Putins Gegenkandidaten zu stimmen oder Stimmzettel mit der Aufschrift „Nawalny“ ungültig zu machen.
Für den im Exil lebenden Kremlkritiker Michail Chodorkowski hat die Wahl den Protest eines bedeutenden Teils der Gesellschaft gegen Putin gezeigt. Der frühere Ölunternehmer verwies auf die vielen Menschen, die dem Aufruf der Opposition gefolgt seien und mittags genau um 12 Uhr gewählt hätten. „Für die Einwohner der Großstädte hat sich die psychologische Situation grundlegend geändert“, sagte Chodorkowski, der wegen seiner Gegnerschaft zu Putin zehn Jahre im Gefängnis gesessen hat.
Außenministerin Annalena Baerbock kündigte an, dass die EU nun neue Strafmaßnahmen gegen Putin-Unterstützer beschließen werde. „Wir werden heute Sanktionen auf den Weg bringen mit Blick auf den Tod von Alexej Nawalny“, sagte die Grünen-Politikerin bei einem EU-Außenministertreffen in Brüssel. „Die Wahl in Russland war eine Wahl ohne Wahl.“