Berlin – Selten hat man den Kanzler so genervt erlebt. „Noch mal“, sagt Olaf Scholz, „es ist eine ziemlich wenig erwachsene, peinliche Debatte in Deutschland.“ Auf der Diskussionsveranstaltung „Europe 2024“ in Berlin wurde ihm zuvor die Frage gestellt, ob er wirklich unter allen Umständen bei seinem Nein zu Taurus bleibe – also auch, wenn etwa russische Truppen in Kiew einmarschieren würden. Dann platzt dem sonst stocknüchternen Kanzler der Kragen: Die Diskussion sei „an Lächerlichkeit nicht zu überbieten“. Niemand außerhalb von Deutschland würde den Taurus-Streit verstehen. „Und ich bin stolz darauf, dass ich mich davon überhaupt nicht beeindrucken lasse.“
Seit Wochen verteidigt der Kanzler seine Absage zur Lieferung von Marschflugkörpern an die Ukraine – es ist eine heftige Debatte, in der sich neben der Union auch die Koalitionspartner Grüne und FDP gegen ihn stellen. Scholz wirkt inzwischen ziemlich frustriert: Deutschland sei der zweitgrößte Waffenlieferant der Ukraine – dies werde im Ausland auch anerkannt. „Ich wünsche mir eine Debatte in Deutschland, die Besonnenheit nicht diskreditiert, als etwas, das zögerlich sei.“ Zudem hätten die Deutschen „fast alle gefährlichen Waffen als Allererste geliefert“. Er nannte weitreichende Artillerie und Kampfpanzer als Beispiele. „Ich könnte diese Liste unendlich verlängern.“
Aber stimmt das wirklich? Scholz war vor allem bei der Lieferung der Kampfpanzer vom Typ Leopard 2 Zögerlichkeit vorgeworfen worden. Erst nach monatelanger Debatte und unter massivem Druck der osteuropäischen Verbündeten entschied er sich im Januar 2023 dafür. Voraussetzung war, dass auch die USA ihre Abrams-Panzer zur Verfügung stellten. Der „Allererste“ war Scholz mit der Zusage nicht. Großbritannien hatte vorher schon seine Challenger versprochen.
Trotzdem spricht der Kanzler offenbar der Mehrheit der Deutschen aus der Seele. Laut dem Trendbarometer von RTL und ntv sprechen sich 66 Prozent gegen eine Taurus-Lieferung aus. Ende Februar lag der Wert noch bei 56 Prozent. Außerdem sind die meisten Befragten (76 Prozent) der Meinung, dass bei der Taurus-Debatte in der Bundesregierung eher innenpolitische und parteitaktische Überlegungen im Vordergrund stehen – nur 14 Prozent denken, dass es bei dem Streit darum geht, was der Ukraine am besten hilft.
Kurzfristig will Deutschland der Ukraine erst mal mit weiteren Munitionslieferungen helfen. Dafür würden 10 000 Artilleriegeschosse aus Beständen der Bundeswehr geliefert, sagte Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) am Dienstag bei einem Treffen der sogenannten Ukraine-Kontaktgruppe auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein (Pfalz). Der Wert des Pakets beträgt demnach rund 500 Millionen Euro. Insgesamt habe Deutschland alleine in diesem Jahr über sieben Milliarden Euro an militärischer Hilfe vorgesehen. Pistorius bekräftigte in diesem Zusammenhang auch die von Kanzler Scholz verkündete Entscheidung, eine weitere sogenannte „Fähigkeitskoalition“ für die Lieferung von Raketenartillerie an die Ukraine aufzubauen. Frankreich werde die Federführung übernehmen.
Sein US-Kollege Lloyd Austin fügte bei dem Treffen hinzu: „Machen wir uns nichts vor. Putin wird sich nicht mit der Ukraine begnügen.“ Die Ukraine aber könne durchaus „Putin stoppen“, wenn „wir an der Seite der Ukraine stehen und sie mit den Waffen versorgen, die sie für ihre Verteidigung benötigt“. kab/dpa