Karlsruhe – Das Bundesverfassungsgericht prüft, ob die AfD-Fraktion ein Recht auf Vorsitzende in Bundestagsausschüssen hat und ob ihre Abgeordneten von einem solchen Amt abgewählt werden dürfen. Zum ersten Mal befasste sich das höchste deutsche Gericht nach Auskunft von Vizepräsidentin Doris König gestern mit Fragen der Wahl und Abwahl von Ausschussvorsitzenden. Hintergrund sind zwei Klagen der AfD-Fraktion. In der Verhandlung in Karlsruhe ging es viel um Fairness, Vertrauen und die Frage, welchen Hut ein Politiker wann aufhat – und ob das stets erkennbar ist.
In den Ausschüssen beraten Abgeordnete Fachthemen und bereiten Beschlüsse vor. Die Ausschüsse werden in jeder Wahlperiode neu benannt und besetzt. Welche Fraktion welchem Ausschuss vorsitzt, wird eigentlich im Ältestenrat ausgehandelt. Gibt es – wie 2021 – keine Einigung, wird aus der Stärke der Fraktionen eine Zugriffsreihenfolge berechnet. An die AfD waren so die Ausschüsse für Inneres, Gesundheit und Entwicklungszusammenarbeit gefallen.
Üblicherweise benennen die Fraktionen den Vorsitz – doch wegen Widerspruchs wurde gewählt. In den drei Ausschüssen verfehlten die AfD-Kandidaten bei zwei Anläufen die Mehrheit. Die Fraktion moniere daher den „Bruch einer jahrzehntelangen Parlamentspraxis“ und einen Verstoß gegen ihre Rechte auf Gleichbehandlung nach dem Grundgesetz, sagte König. Es gehe ihr um eine faire und loyale Anwendung der Geschäftsordnung.
Die Antragsgegner – der Bundestag, dessen Präsidentin und die betroffenen Ausschüsse – sind König zufolge hingegen der Auffassung, die AfD-Fraktion habe keinen Anspruch auf unmittelbare Entsendung eines Vorsitzenden. Auch die Möglichkeit zur Abwahl sei durch das Demokratieprinzip unmittelbar geboten.
Bei der Abwahl geht es um die zweite Klage zur Personalie Stephan Brandners als Vorsitzender des Rechtsausschusses, die mitverhandelt wird (Az. 2 BvE 1/20). Der AfD-Politiker war 2019 nach Eklats abberufen worden – ein einmaliger Vorgang. Brandner hatte zum Beispiel die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an den AfD-kritischen Rocksänger Udo Lindenberg auf dem Nachrichtendienst Twitter mit der Bemerkung „Judaslohn“ kommentiert. Auch mit seinen Reaktionen auf den antisemitisch motivierten Terroranschlag von Halle löste er Empörung aus.
Das Gericht hatte in beiden Fällen Eilanträge abgelehnt, aber betont, Rechte der AfD könnten verletzt sein. Daher wurde nun verhandelt. Ein Urteil wird in einigen Monaten erwartet.
„Die Ausschussvorsitzenden genießen ein besonderes Vertrauen der Fraktionen“, sagte der SPD-Abgeordnete Johannes Fechner in der Verhandlung. Sie sollten bei Konflikten vermitteln, aber keine Parteipolitik machen. Daher sei es wichtig, dass es qualifizierte Personen seien. FDP-Politiker Stephan Thomae sagte, das Amt sei typisch für Abgeordnete mit viel Erfahrung im Bundestag, nicht typischerweise aber ein Oppositionsinstrument.
Irene Mihalic von den Grünen betonte, die Vorsitzenden verträten nach außen den Ausschuss als Ganzes und nicht die Politik einer bestimmten Fraktion. Wer in dieser Funktion etwa von Verbänden eingeladen werde, dürfe sich nicht einen anderen Hut aufsetzen. Thomae sagte, dass es viel Fingerspitzengefühl brauche, um die Rollen als Parteipolitiker und Ausschussvorsitzender zu trennen. Man werde nicht zum „politischen Neutrum“, dürfe aber nicht zu sehr polarisieren. Den Aussagen zufolge war Brandner das nicht gelungen. MARCO KREFTING