München – Carlo Masala ist Militär-Experte an der Bundeswehr-Universität in Neubiberg. Im Interview erklärt er, warum Moskau neuerdings den Krieg beim Namen nennt.
Der Kreml sagt, Russland befinde sich jetzt „im Kriegszustand“ mit der Ukraine. Welche Folgen hat das?
Es ist bislang keine offizielle Kriegserklärung, nur eine Äußerung des Kreml-Sprechers in einem Interview. Aber es ist möglicherweise die Vorbereitung für eine größere Mobilisierung in Russland. Dazu braucht man natürlich das Kriegs-Narrativ.
Vor einer Generalmobilmachung ist Putin bisher zurückgeschreckt, weil sie unpopulär ist. Interpretiert er jetzt seinen 87-Prozent-Sieg als Freibrief?
Als Freibrief sieht er es nicht, die Wahlen sind ja gefälscht. Aber da er nun für weitere sechs Jahre gewählt ist, kann er das durchsetzen, was er meiner Meinung nach schon vorher vorhatte: offiziell zu mobilisieren. Bislang ist ja nur schleichend mobilisiert worden.
Peskow sagt, es sei jetzt ein Krieg, weil der gesamte Westen auf Seiten der Ukraine stehe. Nimmt er die Kanzler-Äußerung von westlichen Soldaten, die bereits in der Ukraine stehen, als Vorwand?
Nein, dieses Narrativ, dass der Westen einen Krieg gegen Russland führt, ist schon länger in Putins Reden zu finden. Dafür braucht er keinen speziellen Vorwand. Putin hat ja irgendwann auch mal gesagt, es würde nichts ändern, wenn westliche Soldaten in der Ukraine stehen. Ihm geht es darum, mehr Kräfte zu mobilisieren angesichts der Situation, dass die ukrainischen Truppen in einer extrem schwierigen Lage sind.
Wie groß ist der Anteil der westlichen Streitereien um den richtigen Ukraine-Kurs an der neuen Eskalation?
Putin fühlt sich durch die Tatsache ermutigt, dass der gesamte Westen bei der Ukraine-Unterstützung schwächelt. Angesichts der Tatsache, dass der Ukraine Munition fehlt und die ukrainische Mobilisierungsfrage noch nicht geklärt ist, ergeben sich für Russland auf dem Schlachtfeld Möglichkeiten.
Ist Russland zu einer weiteren Kriegs-Eskalation militärisch gut genug gerüstet – beim ersten Angriff auf die gesamte Ukraine ist Putin ja gescheitert…
Russlands Strategie baut auf Masse. Sie haben mehr Personal und mehr Material – und beides fehlt den Ukrainern.
Droht nun auch ein neuer Angriff auf Kiew?
Das kann man jetzt noch nicht sagen. Es kommt darauf an, ob und in welchem Ausmaß Russland Durchbrüche im Osten gelingen.
Das „Wall Street Journal“ schrieb von Plänen Putins, auf dem Balkan mit Hilfe der Serben eine zweite Front zu eröffnen. Kann das EU-Beitrittsangebot für Bosnien da als Vorwand für eine neue Eskalation dienen?
Der serbische Präsident Aleksandar Vucic droht immer wieder mit Angriffen auf den Kosovo, macht aber letztlich nichts. Insofern glaube ich, dass das ein klassisches Ablenkungsmanöver ist.
Interview: Klaus Rimpel