WIE ICH ES SEHE

Von der Sprache unserer Flüsse

von Redaktion

Die Namen von Orten und Siedlungen sind meistens sehr alt. Viel älter aber sind die Namen von Flüssen. Diese waren ja in frühester Zeit immer schon da, mussten nicht wie die Siedlungen erst von Menschenhand geschaffen werden.

Weil Flüsse aber die wichtigsten Lebens- und Verkehrsverbindungen waren, hat sich an ihren Ufern ein einzigartiges Geistesleben herausgebildet. Flüsse spielen für die Entwicklung Deutschlands zum Lande der Dichter und Denker die entscheidende Rolle.

Wo Flüsse sind, da stehen auch Burgen und sie werden im Volkslied gepriesen, besonders am Rhein und bis hin zur Saale mit dem schönen Text: „An der Saale hellem Strande stehen Burgen stolz und kühn. Ihre Dächer sind gefallen und der Wind streicht durch die Hallen, Wolken zieh’n darüber hin.“

Der am Neckar geborene Friedrich von Schiller hat 1796 in einer ganzen Reihe von Zweizeilern unsere Flüsse sprechen lassen von Rhein und Mosel, Donau, Main, Saale, Elbe und Spree bis zu Pegnitz und Salzach.

Das Schönste lässt er dabei die bescheidene Ilm sagen, weil sie doch durch die Dichterstadt Weimar fließt: „Meine Ufer sind arm; doch höret die leisere Welle, führet der Strom sie vorbei, manches unsterbliche Lied.“

Die Weser dagegen, entstanden aus dem Zusammenfließen von Werra und Fulda bei Hannoversch Münden, hat bei Schiller nichts vorzubringen: „Leider von mir ist gar nichts zu sagen…“, zitiert er den Fluss. Wusste er nichts von den Renaissance-Bauten an den Weserufern und von ihrem Lauf durch die Stadt Bremen?

Gut möglich aber, dass der Schwabe Schiller auf ein Gewässer wie die Weser, ohne Dichter und Geistesgrößen an seinen Ufern, nur herabblicken konnte. Keine Flussregion nämlich spielt für die geistige Entwicklung Deutschlands eine so große Rolle wie sein heimatliches Neckartal zwischen dem Schwenninger Moos und Mannheim. Mit Namen wie Hölderlin, Schiller, Mörike, Hauff und Uhland ist der Neckar so etwas wie das Rückgrat der schwäbisch geprägten deutschen Geistesgeschichte: „Der Schelling und der Hegel, der Schiller und der Hauff, die sind bei uns die Regel und fallen nicht weiter auf“, so heißt es heute noch dort, nicht nur in Festreden.

Ludwig Uhland war gerade einmal 18 Jahre alt, als er am 21. September 1805 sein „Memento-mori“-Gedicht über die Wurmlinger Kapelle bei Tübingen niederschrieb: „Droben stehet die Kapelle…“.

Fünf Jahre davor hatte Hölderlin die Ode „Der Neckar“ gedichtet. Hölderlin kommt darin schnell von der heimatlichen Flusslandschaft in das von ihm idealisierte Land der alten Griechen. Der junge Ludwig Uhland hingegen hatte kein Griechenland nötig, um seine Heimat zu überhöhen. Sein Leben lang blieb die Wurmlinger Kapelle für ihn eine regelrechte Kultstätte. Das ist sie geblieben für das gebildete Deutschland bis heute – wie so vieles am Lauf des Neckar.

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VON DIRK IPPEN

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