„Was Mützenich von Metternich unterscheidet“

von Redaktion

INTERVIEW CSU-Europapolitiker Bernd Posselt über die Friedensdebatte: „Die Ukrainer bluten und sterben für uns“

Die Debatte um eine Kapitulation Kiews reißt nicht ab. Unsere Zeitung hat vergangene Woche mit Europapolitiker Bernd Posselt (CSU) gesprochen, der bis 2014 zwei Jahrzehnte lang im EU-Parlament saß. Im Interview erklärt er, warum er allein die Diskission über ein „Einfrieren“ des Kriegs für gefährlich hält.

Herr Posselt, Rolf Mützenich hat gerade viel Ärger am Hals. War sein Einfriervorschlag ein Tabubruch?

Wir kennen jetzt den Unterschied zwischen Metternich und Mützenich: Metternich hatte beim Wiener Kongress für Frieden gesorgt, weil Napoleon besiegt wurde. Mützenich spricht von Frieden, obwohl es niemanden gibt, der bereit ist, mit den Ukrainern Frieden zu schließen. Der Herr Mützenich ist gefährlich, weil er Illusionen sät: Er erweckt den Eindruck, es könnte Frieden geben, wenn man nur gutwillig genug ist. Wer so denkt, hat keine Ahnung von Geschichte.

Mützenich dürfte vielen kriegsmüden Bürgern aus der Seele sprechen.

Natürlich gibt es in der Bevölkerung Ängste. Aber Umfragen zeigen, dass die klare Mehrheit nach wie vor an der Seite der Ukraine steht.

Die Mehrheit der Bevölkerung ist aber gegen eine Taurus-Lieferung.

Sie können nicht von jedem Menschen verlangen, dass er ein Waffenexperte ist. Die meisten Menschen haben bis vor Kurzem noch nie etwas von Taurus gehört. Diese Debatte muss Experten überlassen werden – und ich kenne keinen Experten, der nicht meint, dass Taurus dringend notwendig ist.

Macron spielt mit dem Gedanken, Bodentruppen in die Ukraine zu schicken. Ist es richtig, dass der Kanzler die Idee im Keim erstickt?

Ich halte Macron und Scholz für Laiendarsteller. So etwas dürfte überhaupt nicht passieren! Ich halte diesen Streit in Europa sogar für einen Teil der Kriegsgefahr. Deutschland und Frankreich müssen in einer so gefährlichen Situation als Einheit auftreten. Erinnern wir uns daran, wie Angela Merkel reagierte, als Putin 2008 Georgien angegriffen hat: Sie ist nicht allein nach Georgien gefahren, sondern gemeinsam mit Sarkozy. Der Schulterschluss zwischen den beiden war so eng, dass man damals sogar ironisch von Merkozy gesprochen hat.

Ein Merkel-Lob aus der CSU?

Ich habe Angela Merkel immer gelobt. Nicht für alles, aber für vieles. Weil sie eine klare Europäerin war.

Warum hat Europa nach zwei Jahren Krieg noch keine gemeinsame Haltung zum Ukraine-Krieg? Lacht Putin nicht über uns?

Putin verachtet Europa. Seit seiner KGB-Zeit will er das sowjetische Vaterland seines geliebten Josef Stalin wieder errichten. Viele verstehen das noch nicht. Dabei hat er selbst ganz offen von seinem Ziel gesprochen: ein von ihm geleitetes Eurasien von Wladiwostok bis Lissabon. Wir sind für ihn vielleicht nicht Kriegspartei, aber Kriegsziel. Und das seit mittlerweile 25 Jahren. Sie könnten Putin morgen die halbe Ukraine geben – er würde nicht nachgeben, sondern wäre zum Weitermachen ermutigt.

Wenn Einfrieren keine Option ist – was wäre Ihr Weg zum Frieden?

Ich glaube nicht, dass es ohne einen Regimewechsel in Russland dauerhaften Frieden in Europa geben kann. Aber den können wir von außen nicht erzwingen. Deshalb befürchte ich, dass noch eine sehr, sehr lange Durststrecke auf uns zukommt.

Was ist also zu tun?

Wir müssen die EU stärken: mit einer gemeinschaftlichen Außen- und Sicherheitspolitik, einer Europa-Armee. Denn darin liegt die eigentliche Zeitenwende. Ich halte diesen Begriff für verplempert, wenn man damit nur ein paar Milliarden Militärausgaben hin oder her meint. Es braucht eine politische Zeitenwende. Und zugleich müssen wir die Ukraine mit allem, was wir haben, unterstützen.

Der Ukraine fehlen nicht nur Waffen, sondern auch Soldaten. Sollten wir die wehrpflichtigen Ukrainer hierzulande zurück an die Front schicken?

Das ist nicht unsere Aufgabe, sondern einzig und allein Sache der Ukrainer. Denn die sterben und bluten für uns, für ganz Europa. Da haben wir nichts zu verlangen. Interview: Kathrin Braun, Christian Deutschländer

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