Moskau – Nikolai Patruschew gilt als glühender Befürworter des russischen Krieges gegen die Ukraine. Insofern überrascht es nicht, dass der Sekretär des nationalen Sicherheitsrats sich am Dienstag so sicher gibt. „Natürlich“ stecke Kiew hinter dem Anschlag auf die Konzerthalle Crocus City Hall, sagte er. Es gebe „eine ganze Menge“ Beweise dafür – nennen wollte der 72-Jährige aber keinen einzigen.
Später am Tag formulierte Patruschew zwar ein Stück zurückhaltender, auf eine Beteiligung der Ukraine deute viel hin. Beweise blieb er aber weiter schuldig, die Botschaft musste genügen: Moskau will auf der Suche nach angeblichen Hintermännern der Tat, bei der am Freitag 139 Menschen getötet wurden, unbedingt eine Verbindung in die Ukraine ziehen.
Dabei hat sich die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) mehrfach bekannt. Westliche Sicherheitsbehörden halten das für glaubwürdig und vermuten den IS-Ableger Islamischer Staat Provinz Khorasan dahinter. Kreml-Chef Wladimir Putin bestreitet das nicht. Am Montagabend sagte er, man wisse, dass die Tat von „radikalen Islamisten“ begangen wurde. Kiew integriert er trotzdem in seine Geschichte: als angeblichen „Auftraggeber“. Die Ukraine weist jede Beteiligung vehement zurück.
„Putin versucht, eine Art anti-russische Achse des Bösen zu konstruieren“, sagte der Terrorismus-Forscher Peter Neumann dazu im ORF. „Doch dafür fehlen ihm jegliche Belege.“ Es gehe wohl darum, Zweifel zu säen.
Dazu trägt auch der Chef des Inlandsgeheimdienstes FSB, Alexander Bortnikow, bei, der selbst westliche Geheimdienste involviert sieht. „Wir glauben, dass die Aktion sowohl von den radikalen Islamisten selbst als auch von westlichen Geheimdiensten vorbereitet wurde“, sagte er der Nachrichtenagentur RIA Nowosti und behauptete, die Attentäter hätten in die Ukraine fliehen und dort „als Helden“ begrüßt werden sollen.
Tatsächlich weisen die Spuren aber in andere Länder. Der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko widersprach Bortnikow und sagte, zwei der Angreifer hätten zunächst nach Belarus fliehen wollen. Sie seien aber wegen der Grenzkontrollpunkte umgekehrt. „Deswegen gab es keine Möglichkeit für sie, nach Belarus einzureisen. Sie haben das gesehen. Deswegen kehrten sie um und gingen zu dem Abschnitt an der ukrainisch-russischen Grenze.“
Eine weitere Spur führt in die Türkei. Zwei der Beschuldigten haben sich nach türkischen Angaben vor der Tat in der Türkei aufgehalten und konnten ungehindert nach Russland reisen. Die beiden Tadschiken seien mit demselben Flug am 2. März von Istanbul nach Moskau gereist, es habe kein Haftbefehl gegen sie vorgelegen.
Die beiden Männer hätten sich in Istanbul in einem Hotel aufgehalten. Einer der beiden habe im Februar mehrfach Fotos aus Istanbul in Onlinediensten gepostet. Nach Informationen aus türkischen Sicherheitskreisen sagte er aus, dass er in die Türkei gereist sei, weil sein Visum für Russland abgelaufen sei. „Wir gehen davon aus, dass die beiden sich in Russland radikalisiert haben, da sie sich nur kurze Zeit in der Türkei aufhielten“, sagte ein Beamter.
Die beiden Männer mit tadschikischer Staatsbürgerschaft zählen zu den elf Verdächtigen, die nach dem Anschlag inhaftiert wurden. Acht davon sitzen inzwischen in Untersuchungshaft, vier Männer halten die Strafverfolger für die Angreifer. Berichte, die Beschuldigten seien gefoltert worden, machten schon zu Wochenbeginn die Runde (wir berichteten).
Putin sagte, er zähle darauf, dass die Generalstaatsanwaltschaft alles tun werde, damit „die Verbrecher eine gerechte Strafe erhalten, so wie es das russische Gesetz vorschreibt“. Darüber, was eine gerechte Strafe ist, wird im Land gerade debattiert. Führende Politiker, auch aus der Kreml-Partei Geeintes Russland, haben sich nach der Bluttat für die Wiederanwendung der Todesstrafe ausgesprochen. Parlamentschef Wjatscheslaw Wolodin hält das für schnell machbar. „In unserer Verfassung und im Strafrecht hat niemand die Todesstrafe abgeschafft“, sagte er. Tatsächlich gilt nur ein Moratorium auf die Höchststrafe. Das letzte Todesurteil wurde in Russland 1996 ausgeführt. mm/dpa