Wie Putin die SPD zerreißt

von Redaktion

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VON KATHRIN BRAUN

München – Es war ein Montagabend im April, der Krieg in der Ukraine wütete noch keine sieben Wochen, da trafen sich drei deutsche Parlamentarier heimlich in Warschau. Kaum jemand wusste zu dem Zeitpunkt, dass Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), Anton Hofreiter (Grüne) und Michael Roth (SPD) von dort gemeinsam in die Westukraine nach Lwiw weiterreisen wollten – sie waren die ersten hochrangigen Vertreter des Bundestags, die seit dem Überfall Russlands in das Kriegsland gereist sind. Der Kanzler war da noch schwer am Zögern, entschied sich erst zwei Monate später für einen Besuch in Kiew.

Damals erklärte Olaf Scholz, er wolle nicht nur für ein Fotoshooting in die Ukraine reisen. Heute weiß man, dass er aus seiner eigenen Partei großen Druck verspürt haben dürfte. „Als ich kurz nach Kriegsausbruch in das Land reiste, grüßten mich manche in der Fraktion nicht einmal mehr“, sagt Michael Roth in einem Interview mit dem „Stern“. Er habe sich „wie ein Fremdkörper“ gefühlt.

Der 53-Jährige wird die Politik verlassen, weil er nicht mehr will. „Bis zur Bundestagswahl mache ich noch“, sagt Roth, der seit 26 Jahren im Bundestag sitzt. „Danach bin ich raus.“ Er habe „keinen Biss mehr“, spüre eine „innere Distanz“ zum Betrieb.

Der Außenpolitiker, der in etlichen Talkshows für mehr Waffen an die Ukraine appellierte, ist schon lange ausgebrannt. Im Juni 2022 erzählte er in einem „Spiegel“-Porträt ausführlich über seine psychische Erschöpfung, kündigte damals eine monatelange Pause von der Politik an.

Nun also für immer. Der Sohn einer Bergarbeiterfamilie aus einem Dorf in Hessen hatte es nie einfach. „Ich war der Typ mit dem Vater, der gern einen zu viel trinkt“, sagt er dem „Stern“. „Meine Kindheit war nie idyllisch, ich habe sie als beschämend empfunden.“ Die Politik sei für ihn ein Ausweg gewesen.

Mit dem Ukraine-Krieg hat sich das geändert. Roth, der sich selbst als „leidenschaftlichen Sozialdemokraten“ bezeichnet, einst sogar Parteichef werden wollte, kann sich nicht mehr mit der SPD identifizieren. Er habe zuletzt immer mehr mit den Sitzungen gefremdelt. „Wenn die Tür zum Fraktionssaal aufging, hatte ich zuletzt den Eindruck, ich steige in einen Kühlschrank.“ Als er auf dem Parteitag vergangenen Dezember nicht wieder in den Vorstand gewählt wurde, gab es in der Halle Jubel. Heute resümiert Roth: „An dem Tag war alles scheiße.“

Roths Abgang freut aber nicht jeden in der SPD. „Schade, dass er aufhört“, sagt der bayerische Fraktionschef Florian von Brunn gegenüber unserer Zeitung. „Politik ist hart. Dazu gehört auch, dass man manchmal keine Mehrheit für seine Ansichten findet.“

Der Kühlschrank-Vergleich trifft die Stimmung in der Partei ausgesprochen gut, zumal dieser Tage vor allem ihr Einfrierer für Radau sorgt: Seit Fraktionschef Rolf Mützenich im Bundestag das „Einfrieren“ des Krieges vorgeschlagen hat, schlittern die Sozis immer tiefer in eine Identitätskrise. Während das Plenarprotokoll „Beifall bei der SPD“ (aber auch bei Linke, BSW und AfD) vermerkt hat, beeilte sich SPD-Verteidigungsminister Boris Pistorius, auf Distanz zu Mützenich zu gehen. Auch Juso-Chef Philipp Türmer stellte sich auf die Seite der Einfrier-Kritiker. Sonst bleiben aber kaum prominente SPD-Stimmen übrig, die sich von Mützenich abgrenzen.

Für viele verdichtet sich deshalb der Verdacht, dass die SPD nun als „Friedenspartei“ in die drei Ost-Wahlen ziehen will – mit einem Olaf Scholz in den Fußstapfen von Gerhard Schröder. Angeheizt werden die Spekulationen durch das Lob des Altkanzlers für Scholz’ Taurus-Nein – auch wenn der Kanzler, der die Ukraine mit so gut wie allem außer Taurus ausrüstet, nur ungern mit seinem Vorvorgänger in Verbindung gebracht werden dürfte. Der Kreml-Freund hat erst gestern, in einem Interview anlässlich seines 80. Geburtstags (seinen 70. feierte er mit Putin in St. Petersburg), betont, keine seiner politischen Entscheidungen zu bereuen. Und auch heute noch stehe er zu seiner Lobbyarbeit bei russischen Energie-Konzernen.

Mit Roth verlässt jetzt ein Anti-Schröder die Politik: Er war der erste Sozialdemokrat, der EU-Sanktionen gegen den Altkanzler ins Gespräch gebracht hatte. Das ging dann aber doch vielen in der Partei zu weit – auch dem Kanzler.

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