Vatikanstadt/Jerusalem – Sie ist nur rund einen Kilometer lang, führt in einer der politisch und religiös heißesten Städte der Welt durch getrennte Stadtviertel und ist für Christen der Inbegriff des Kreuzwegs: Die „Via Dolorosa“, zu Deutsch Schmerzensweg, in der Jerusalemer Altstadt markiert die Wegstrecke, die Jesus zu seiner Hinrichtungsstätte Golgatha gehen musste.
Für Christen ist die Via Dolorosa die Heiligste Straße, sie gehört zum Muss jeder Pilgerfahrt. In „normalen“ Jahren gehen nach Ordensangaben mehr als eine Million Menschen diesen Weg. Aber seit knapp einem halben Jahr sind die christlichen Stätten im Heiligen Land verwaist, auch die Via Dolorosa.
Ausländische Besucher und Pilger trauen sich seit dem Terrorangriff der Hamas und dem Beginn des Gazakriegs nicht mehr nach Israel – oder werden von Reisewarnungen ausgebremst. Bleiben die einheimischen Christen unter Kriegsauflagen – seit dem 7. Oktober dürfen die Bewohner des Westjordanlandes nicht mehr nach Jerusalem einreisen. Ob die Pfarreien etwa in der Region Bethlehem zu den Ostertagen einige Passierscheine bekommen, blieb bis zuletzt offen.
Zwar beteten auch an diesem Karfreitag wieder verschiedene Gruppen den Kreuzweg auf der Via Dolorosa, aber längst nicht so viele wie noch im vergangenen Jahr. Die größte Prozession mit nach Angabe der Organisatoren über 1000 Teilnehmern war die der einheimischen arabischen Christen. Voran zogen mehrere Pfadfinder-Gruppen, einige mit Fahnen, die sie als Zeichen der Trauer über die Opfer des Krieges gesenkt hielten. In dieser Prozession waren auffallend viele Jugendliche, die fast trotzig laut die arabischen Gebete mitsprachen.
Wenig später folgte – deutlich kleiner, weil die ausländischen Pilger fehlten – die Prozession der Franziskaner-Kustodie. Der Karfreitag mit seinem Kreuzweg mache in diesem Jahr besonders deutlich, dass Leid zum menschlichen Leben dazugehört, dem die Menschen nicht ausweichen könnten, sagte der deutsche Benediktiner-Abt Nikodemus Schnabel von der Jerusalemer Dormitio-Abtei. Auf beiden Seiten des Konflikts litten Glaubensgeschwister.
Auch Papst Franziskus schlug in seinen zur Karfreitagsprozession verfassten Texten einen Bogen vom Geschehen vor 2000 Jahren in die heutige Zeit. Zu den Kriegen der Gegenwart schreibt er: „Bleibt mein Herz angesichts der Tragödien in der Welt steinhart oder lässt es sich erweichen? Wie reagiere ich auf den Wahnsinn des Krieges, auf Kindergesichter, die nicht mehr lächeln können, auf Mütter, die sie unterernährt und hungrig sehen und keine Tränen mehr haben, die sie vergießen könnten? Du, Jesus, hast über Jerusalem geweint, du hast über unsere Hartherzigkeit geweint. Rüttle mich innerlich auf, gib mir die Gnade, beim Beten zu weinen und beim Weinen zu beten.“
Ferner erinnert der Papst daran, dass Schmähungen, wie sie Jesus erlitt, heute auch über Soziale Netzwerke verbreitet werden. In dem Text heißt es dazu: „Sie verurteilen dich und begegnen dir mit Schmähung und Verachtung. Das geschieht auch heute, Herr, und dazu (…) genügt eine Tastatur, um zu beleidigen und Urteile kundzutun.“
Doch am Freitagabend wurde dann bekannt: Franziskus verzichtet kurzfristig auf die Teilnahme am traditionellen Kreuzweg. Um seine Gesundheit mit Blick auf den Gottesdienst der Osternacht am Samstag und auf die Messe am Ostersonntag zu schonen, werde der Papst die „Via Crucis“ am Kolosseum von seinem Wohnsitz im Vatikan aus verfolgen, teilte der Heilige Stuhl nur wenige Minuten vor Beginn der Kreuzwegandacht mit. Beobachter hatten sich schon zuvor gefragt, ob der seit Monaten gesundheitlich angeschlagene 87-jährige Franziskus an der „Via Crucis“ im Freien teilnehmen würde. Im vergangenen Jahr hatte er bereits kurzfristig auf die Teilnahme verzichtet. Franziskus erholte sich damals gerade erst von einer Bronchitis und kämpft erneut mit den Folgen einer Atemwegsinfektion.