München – Lars Klingbeil bemüht sich um Schadensbegrenzung: Er wolle jetzt „mal ein paar Sachen grundsätzlich zum Krieg in der Ukraine sagen“. Fünf Minuten und 46 Sekunden geht sein Clip, den er auf Instagram veröffentlicht hat. Darin erzählt er eigentlich nichts Neues. Wladimir Putin, der Aggressor, der das Völkerrecht gebrochen hat. Deutschland, der wichtigste Ukraine-Unterstützer in Europa, dank Scholz. Bundeswehr-Sondervermögen hier, Waffenlieferungen da. Klingbeil meint das alles wiederholen zu müssen, weil offenbar nicht mehr jedem ganz klar ist, wie die Haltung der Sozialdemokraten in diesem Krieg ist.
Dann nimmt er seinen Parteikollegen in Schutz. „Rolf Mützenich hat deutlich gemacht, dass wir weiter Waffen liefern werden“, sagt Klingbeil, und er habe „klar gesagt“, dass Deutschland nicht über die Köpfe der Ukrainer hinweg entscheiden werde. Zugleich könne man – neben der Debatte um Waffen – ja auch durchaus darüber reden, wie Frieden in der Ukraine geschaffen werden kann. Das Wort „einfrieren“, mit dem Fraktionschef Mützenich die Bundesrepublik seit Tagen aufwühlt, erwähnt er nicht.
Es ist ein offensichtlicher Schlichtungsversuch. Seitdem fünf namhafte Historiker die Russlandpolitik der Partei in einem scharfen Brandbrief abgemahnt haben, stehen die Sozialdemokraten enorm unter Druck. In dem Schreiben werfen die Experten der SPD eine „Realitätsverweigerung“ vor. Die Kanzlerpartei müsse „endlich eine klare Strategie für einen Sieg der Ukraine“ finden. Und: Der Einfrier-Vorschlag Mützenichs sei besonders „fatal“ – und würde ein Ende des Krieges „zugunsten des Angreifers“ bedeuten.
Pikant: Die Wissenschaftler stammen selbst aus den Reihen der SPD. Dass Heinrich August Winkler, einer der renommiertesten Historiker der Gegenwart, zu den Unterzeichnern gehört, dürfte der Partei besonders wehtun. In dem Schreiben geht es aber nicht nur um Mützenich, sondern um die gesamte Parteispitze. Äußerungen des Kanzlers ließen eine „nötige Klarheit und unzweideutige Solidarität vermissen“. Sie kritisieren auch Scholz’ Nein zu Taurus. „Wenn Kanzler und Parteispitze rote Linien nicht etwa für Russland, sondern ausschließlich für die deutsche Politik ziehen, schwächen sie die deutsche Sicherheitspolitik und spielen Russland in die Hände“, heißt es in dem Schreiben.
Mit dem Brandbrief hat es in der SPD ordentlich gerumst. Das Schreiben erreicht die Öffentlichkeit, als auch Außenpolitiker Michael Roth seinen Rückzug aus der Politik ankündigt – der Mann, der so laut wie kaum ein anderer Sozialdemokrat nach Ukraine-Hilfen ruft, fremdelt inzwischen mit seiner Partei. „Mein früher Einsatz für die Ukraine gefiel nicht allen“, sagte er dem „Stern“.
Der SPD-Haushaltsexperte Andreas Schwarz sagt, man solle sich nun ernsthaft mit dem Brief auseinandersetzen. „Wir müssen ihn in Partei und Gesellschaft diskutieren“, sagt er dem „Spiegel“. „Ein Blick in die Geschichtsbücher sollte uns Mahnung sein.“ Schwarz ist einer der wenigen SPD-Bundestagabgeordneten, die auch Taurus für Kiew fordern.
Auch Hans-Peter Bartels, Mitglied in der SPD-Grundwertekommission und früherer Wehrbeauftragter, sagt dem Magazin: „Wir müssen die Debatte über unser Verhältnis zu Russland weiterführen.“ Es gebe „noch altes Denken in der Partei und bei manchen eine geistige Unbeweglichkeit“.
Aufregung in der SPD gibt es auch andernorts: Altkanzler Gerhard Schröder hat in einem Interview anlässlich seines 80. Geburtstags klargemacht, dass er sich nicht von der Parteispitze ausgrenzen lassen wolle. Ohnehin nehme er sie nur „begrenzt politisch ernst“. Er wolle außerdem seine gute Freundschaft zu Putin nutzen, um bei einer Verhandlungslösung zu helfen. Der Kreml hat darauf erfreut reagiert.