München – 1500 Menschen sind zum Brandenburger Tor in Berlin gekommen. Sie warten, bis die Uhr zwölf schlägt. Bis sie feiern können. Es ist nicht Silvester, sondern die Nacht zum 1. April. Es folgt kein traditionelles Anbaden, sondern ein „Ankiffen“. Die Anwesenden zünden sich Joints an. Über dem bekanntesten Wahrzeichen Berlins schwebt eine Marihuana-Wolke. Seit Ostermontag ist Cannabis in Deutschland legal – zumindest teilweise.
Konkret ist mit dem neuen Ampel-Gesetz Cannabis von der Liste der verbotenen Substanzen im Betäubungsmittelgesetz verschwunden. Damit dürfen Erwachsene in der Öffentlichkeit Gras rauchen und zu Hause drei Pflanzen anbauen. Verboten bleibt die Weitergabe von Cannabis außerhalb von Anbauvereinen sowie das Kiffen in der Nähe von Kindern und Jugendlichen und entsprechenden Einrichtungen für sie.
Mit dieser Teillegalisierung setzt die Ampel-Koalition ein Wahlversprechen um, mit dem sie vor allem wohl von jüngeren Wählern eine Stimme bei der Bundestagswahl 2021 gewonnen haben dürfte. Die Ampel drückte das Vorhaben gegen alle Kritik durch. „Heute beenden wir eine gescheiterte Verbotspolitik“, sagt Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) am Montag.
Damit soll auch für vergangene Cannabis-Delikte eine Amnestie gelten – sofern die Fälle nach der jetzigen Regelung legal sind. Deutschlandweit müssen 210 000 Strafakten nochmals überprüft werden, bayernweit 29 000. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) erwartet „einmalig einen höheren Arbeitsaufwand“, wie er dem RND sagt. „Aber perspektivisch werden Polizei und Justiz entlastet.“ Die über 100 000 Strafverfahren seien ein Zeichen für die bisher gescheiterte Drogenpolitik. „Sie hat Polizei, Staatsanwaltschaften und Justiz stark belastet, aber den Konsum in Wahrheit doch kaum unterbunden“, sagt Buschmann.
„Der Bundesjustizminister beschönigt die Lage“, kritisiert Bayerns Justizminister Georg Eisenreich gegenüber unserer Zeitung. Es sei nicht zu erwarten, „dass das Cannabisgesetz bei Staatsanwaltschaften und Gerichten zu Entlastungen führt“. Zudem kritisiert Eisenreich die komplizierte Ausgestaltung der neuen Regeln, wodurch „eine Vielzahl neuer Rechtsfragen zu klären“ sei.
Auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP) rechnet mit vorprogrammierten Konflikten. „Wir sind uns sicher, dass es aufgrund verschiedenster Unklarheiten und fehlender gesetzlicher Definitionen zu deutlich spürbaren Unzufriedenheiten, Unsicherheiten und Fehlern bei allen Beteiligten kommen wird“, sagt der GdP-Vize Alexander Poitz. Vor allem die unterschiedlichen Abstandsregelungen würden für Probleme sorgen.
Die bayerische Staatsregierung hat bereits angekündigt, die Regelungen maximal restriktiv umzusetzen. In der oberbayerischen Gemeinde Aschheim werden die Abstandsregeln zu Kinder- und Jugendeinrichtungen sogar als eine Art Schlupfloch gegen den Cannabis-Konsum verwendet. Dort wollte ein Geschäftsmann eigentlich eine Anbaugemeinschaft etablieren. Kurzerhand plante die Gemeinde einen Spielplatz in der Nähe, um den Cannabis-Shop zu verhindern.
Auch auf juristischer Ebene werden alle Register gezogen. „Bayern prüft die Dokumente eingehend, ob sich Spielräume für eine Klage ergeben“, kündigt Gesundheitsministerin Judith Gerlach (CSU) an.
Nächster Stichtag ist der 1. Juli. Bis dahin sollen nachträgliche Änderungen in puncto Jugendschutz umgesetzt werden. Dann dürfen auch die Anbauvereine ihre Arbeit aufnehmen. Für Ministerpräsident Markus Söder (CSU) ist die Legalisierung schon jetzt ein „fataler Fehler“. Noch am 31. März konnte er auf dem Augsburger Osterplärrer eine jointfreie Bierzelt-Tour machen. Mit Bierkrug in der Hand lächelte er in die Kameras und würdigte bayerische Tradition und Brauchtum. (mit dpa)