Steckt Russland hinter dem Havanna-Syndrom?

von Redaktion

Russische Kommandos sollen auch in Deutschland US-Angestellte mit Mikrowellen attackiert haben

Frankfurt – Hämmernde Kopfschmerzen, Übelkeit, Schwindel bis zur Dienstunfähigkeit: Weltweit klagen gut 1500 Menschen, von denen viele in Botschaften oder als Geheimdienstler für die US-Regierung gearbeitet haben, über das sogenannte Havanna-Syndrom. Benannt ist es nach dem ersten offiziellen Fall, der 2016 in Havanna auftrat.

Die US-Regierung führt die Fälle als „Anomalous Health Incidents“, also ungewöhnliche Gesundheitsvorfälle. 150 davon schätzt die Regierung als echt ein, einige davon bekommen nach dem Havanna Act Entschädigungszahlungen. Als Ursache nennt die US-Administration – wie zuvor der Auslandsgeheimdienst CIA – „Vorerkrankungen, konventionelle Krankheiten und Umweltfaktoren“.

Recherchen des „Spiegel“, des russischen Investigativportals „The Insider“ und des US-Fernsehmagazins „60 Minutes“ legt jetzt aber nahe, dass es sich um Angriffe russischer Agenten mit neuartigen Mikrowellen-Waffen handeln könnte – und der erste Schlag in Frankfurt kam.

Protagonist der Geschichte ist der 54-Jährige Marc Polymeropoulos, bis 2019 bei der CIA beschäftigt, unter anderem für die Jagd auf al-Qaida-Männer. 2017 habe der Geheimdienst ihn nach Russland geschickt, Polymeropoulos spricht von einem Routineeinsatz, um den Kontakt zu den russischen Geheimdiensten zu verbessern. „Quasi ein Touristentripp“, so Polymeropoulos gegenüber dem „Spiegel“. Doch in seinem Moskauer Hotel überkamen ihn auf einmal hämmernde Kopfschmerzen, kurz darauf noch einmal in einem schicken Café. Sechs Jahre später sind die Schmerzen immer noch da, hindern Polymeropoulos teilweise am Autofahren. Seinen Dienst musste er 2019 quittieren. Er ist überzeugt: Die russischen Geheimdienste haben ihn mit Mikrowellen angegriffen.

Sein Dienstherr sieht das anders: Nach einer Untersuchung 2023 gaben die US-Geheimdienste bekannt, dass sie Angriffe ausländischer Agenten für äußerst unwahrscheinlich halten. Polymeropoulos ist sich sicher: Die USA haben kein Interesse, die Täter aufzudecken, weil sie sonst hart reagieren müssten.

Das Thema ist nicht nur brisant, weil Polymeropoulos mit seinem Verdacht bei weitem nicht alleine ist, sondern auch weil während der Recherche mutmaßliche Mitglieder eines russischen Kommandos in der Nähe mehrerer Tatorte aufgespürt wurden.

Einer davon ist das US-Konsulat in Frankfurt am Main im November 2014. Mark Lenzi war zu diesem Zeitpunkt dort als Diplomat stationiert. Ihn trafen die Schmerzattacken drei Jahre später in China, die US-Regierung hat ihm als anerkanntes Opfer bereits eine Million Dollar Entschädigung bezahlt. „Aber anstatt die Fälle 2014 zu untersuchen, entschied die US-Regierung sich, wegzuschauen und so zu tun, als wäre nichts passiert“, so Lenzi.

Dabei legt die Recherche harte Indizien vor: Vor dem Konsulat waren Männer des GRU gesichtet worden, des russischen Militärgeheimdienstes. Dem Bericht nach erkannte ein Mitarbeiter des Konsulats Jegor Alexandrowitsch Gordijenko auf Fotos. Gordijenko sei Mitglied der Einheit 29155, einem Killerkommando, das auch für den Anschlag auf den russischen Agenten Sergej Skripal verantwortlich gemacht wird.

Im Herbst sind drei weitere Mitglieder der Einheit nach Europa gereist, jeweils zu unterschiedlichen Zielen. Ihre Rückflüge nach Russland gingen von Wien, Amsterdam und Genf aus – alle am 3. November 2014, einen Tag bevor ein Mitglied des Konsulats am Havanna-Syndrom erkrankte.

2016 und 2017 flogen Agenten der 29155 nach China, wo es dann Mark Lenzi traf.  mas

Artikel 4 von 11