Europa erlebt ein Trauma. Zehntausende Menschen, die gegen ihre russlandfreundliche Regierung auf die Straße gehen. Sie schwenken die Flagge ihres Landes und die der EU, während Polizisten sie mit Wasserwerfern, Tränengas und Gummigeschossen attackieren. Wir kennen diese Bilder, und wir kennen ihre Folgegeschichte. Vor einem Jahrzehnt protestierten die Menschenmassen auf dem Maidan-Platz in Kiew gegen ihren Präsidenten Janukowitsch, der ihnen den Weg in die EU verbauen wollte. Geendet hat das in einem Massaker an den Demonstranten, der Annexion der Krim und den Kämpfen im Donbass.
Jetzt also Tiflis. Die Regierungspartei „Georgischer Traum“ wird zum Albtraum für all jene, die proeuropäisch eingestellt sind. Laut Umfragen sind das 80 Prozent der Bürger. Ihnen steht ein Oligarch entgegen, Bidsina Iwanischwili, dessen Vermögen auf ein Drittel des georgischen BIP geschätzt wird – und der das Land in den Orbit des Kremls rücken will. Er soll der Strippenzieher hinter dem „Gesetz gegen ausländische Agenten“ sein, das jeden, der sich der prorussischen Linie der Regierungspartei widersetzt, als Auslandsspion deklarieren kann.
Die EU steht vor einem Dilemma. Wie Georgien in die Schranken weisen – ohne die Bürger im Stich zu lassen? Seit Dezember genießt das Land Kandidatenstatus. Klar ist: Wenn sich die EU abwendet, ist das ein Sieg für Putin, der sein sowjetisches Imperium wieder aufbauen will. Fraglich auch, ob die Parlamentswahlen im Herbst frei sind – Brüssel sollte sich jedenfalls nicht darauf verlassen, dass die Georgier ihre Regierung abwählen und das Problem selbst lösen können. Kathrin.Braun@ovb.net