Der Schlächter von Teheran ist tot. Beileidsbekundungen des Westens dazu sind pflichtschuldig und klingen hohl. Es hätte auch den Repräsentanten der EU besser zu Gesicht gestanden, ihre Kondolenz auszuweiten: auf die Familien jener zigtausenden Opfer, die Irans Präsident im Lauf seiner bluttriefenden Karriere ermordet, erniedrigt, gefoltert und unterdrückt hat. Raisis Tod ist nach unseren Wertmaßstäben kein Grund zu Jubel, aber ein Anlass, daran zu erinnern, was die Opfer durchlitten haben unter dem iranischen Regime der alten Männer.
Was der Absturz für das Land und für die gesamte Region bedeuten wird, ist noch kaum abzusehen. Die unverhohlene Freude und die Feuerwerke in Teheran geben einen kleinen Einblick, wie sehr es im Iran gärt. Die junge Generation begehrt seit weit über einem Jahr auf gegen die Unterdrückung, gegen Kasteiung und Kopftuchzwang, gegen Misswirtschaft, Korruption und Inflation. Es sind junge Menschen, die sich auflehnen, etliche bezahlten mit ihrem Leben. In einer Demokratie wie unserer, wo Dummköpfe im Rudel und unter Polizeischutz ungestört für Kalifate demonstrieren können, sollte man ab und zu daran denken, welchen Löwenmut diese Iraner und Iranerinnen aufbringen, für eine Zukunft mit mehr Freiheit zu kämpfen.
Ihr Kampf wird weitergehen, denn der Tod des islamistischen Hardliners Raisi wird die Machtverhältnisse im theokratischen System nicht sofort verändern; zu dominant sind Staatsoberhaupt und Religionsführer Chamenei sowie die Revolutionsgarden. Der Rückhalt in Teilen der Bevölkerung für deren fundamentalistischen, konservativ-religiösen Kurs war bisher noch größer, als der Westen sich wünscht. Die verordnete Staatstrauer und mehr noch die nun nötige Präsidentschaftswahl binnen 50 Tagen dürften ein Anlass sein für das Aufflammen neuer Proteste. Das Regime wird mit mehr Repression und mehr Gewalt reagieren. Womöglich erleben wir nur das Vorspiel für das Beben, das den Iran erwartet, wenn dereinst Ajatollah Chamenei, jetzt 85, stirbt. Christian.Deutschlaender@ovb.net