Im Abseits: Maximilian Krah darf bis zur Europawahl am 9. Juni nicht mehr öffentlich auftreten. Die Parteispitze reagiert damit auf den jüngsten Fehltritt. © Jens Schlueter/afp
München – Es ist keine zwei Wochen her, dass Maximilian Krah das Schlimmste hinter sich wähnte. Er sei jetzt wieder im Normalmodus, sagte der AfD-Spitzenmann an einem sonnigen Tag in Holzkirchen (Kreis Miesbach). Es war der erste Auftritt nach kurzer, skandalbedingter Wahlkampf-Abstinenz, der Kreisverband hatte ihm für das Comeback extra ein Jaguar-Cabrio und zwei Blondinen organisiert. Spionageaffäre? China- und Russland-Verstrickungen? Für Krah und seine Fans war das Schnee von gestern.
Inzwischen hat sich das Blatt entscheidend gewendet. Der Mann, der als Spitzenkandidat für die AfD einen furiosen Sieg bei der anstehenden Europawahl einfahren sollte, wird bis zum Wahltermin am 9. Juni nicht mehr auftreten, außerdem zieht er sich aus dem Parteivorstand zurück. Der 47-Jährige will das selbst so entschieden haben, um die Einheit der Partei nicht zu gefährden, so beschreibt er selbst es gestern früh. Andere sprechen von einem Auftrittsverbot, verhängt von der AfD-Spitze.
Unzweifelhaft ist: Gut zwei Wochen vor der Europawahl stecken die Rechtspopulisten tief in der Krise, und Krah ist maßgeblich dafür verantwortlich. Die Spionagevorwürfe gegen einen Ex-Mitarbeiter und Vorermittlungen gegen ihn selbst dichtete er zuletzt noch irritierend erfolgreich in eine Kampagne gegen seine Person um. Doch ein Interview mit der Zeitung „La Repubblica“ war der Tropfen zu viel.
Die Zeitung hatte ihn mit der Aussage konfrontiert, die Deutschen sollten stolz auf ihre Vorfahren sein, und gefragt, ob das auch für SS-Offiziere gelte. Krah antwortete, es komme darauf an. Jedenfalls werde er „nie sagen, dass jeder, der eine SS-Uniform trug, automatisch ein Verbrecher war“.
Nicht nur hierzulande verstanden das viele als Verharmlosung von SS-Verbrechen. Auch in Frankreich löste das Wallungen aus, so sehr, dass Marine LePens Rassemblement National die Partnerschaft aufkündigte. „Ich denke, dass die AfD, mit der wir im Europäischen Parlament seit fünf Jahren zusammengearbeitet haben, Linien überschritten hat, die für mich rote Linien sind“, sagte Pateichef Jordan Bardelle dem Sender TF1. Das Verhältnis war schon vorher gestört, gerade nach dem Potsdamer Treffen zum Thema „Remigration“ zeigte sich LePen schwer irritiert. Damals habe es „offene Gespräche“ gegeben, „aber es wurde nichts daraus gelernt“, sagte RN-Wahlkampfleiter Alexandre Loubet am Dienstagabend dazu. „Nun ziehen wir die Konsequenzen.“
Wie groß der Krisenmodus in der AfD nun ist, zeigt die eilig einberufene Vorstandsschalte am Mittwochmorgen. Die Parteichefs Alice Weidel und Tino Chrupalla erklären hinterher kühl und klar, es sei ein „massiver Schaden für die Partei im laufenden Wahlkampf“ entstanden, Krah habe dafür „den Vorwand geliefert“. Er selbst sieht das anders, behauptet, dass „sachliche und differenzierte Aussagen von mir als Vorwand missbraucht werden, um unserer Partei zu schaden“. Schließlich zitiert er ein Gedicht aus Kriegszeiten: „Man kann nie tiefer fallen als in Gottes Hand.“
Im Krah-Lager glauben sie die Geschichte des schuldlos Gefallenen, wobei der Sturz bisher gar nicht so tief ist. Von der Liste bekommt die Partei ihren Spitzenmann nicht mehr runter, das Mandat ist ihm quasi sicher. Einen Verzicht, den unter anderem die CSU gestern fordert, hält Krah bisher jedenfalls nicht für nötig.
Hinzu kommt: Mit dem Listenzweiten Petr Bystron, gegen den Ermittlungen wegen des Anfangsverdachts auf Bestechlichkeit und Geldwäsche laufen, hat die Partei ein weiteres Sorgenkind. Auch er will nicht mehr im Wahlkampf auftreten, aus familiären Gründen, wie er sagt.
„Dass man zwei Spitzenkandidaten hat, die beide nicht in Erscheinung treten dürfen, ist meines Erachtens einzigartig“, sagt die Politikwissenschaftlerin Ursula Münch. Für die Partei sieht sie auch nach der Wahl Probleme. Denn neben dem Rassemblement National gehen auch andere Partner auf Distanz zur AfD. Matteo Salvini, Chef der italienischen Lega, sagte, er vertrete dieselbe Linie wie LePen. Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni (Fratelli d‘Italia) hatte schon Anfang des Jahres „unüberbrückbare Differenzen“ zur AfD festgestellt, vor allem wegen deren Haltung zu Russland.
Münch sieht größere Umgruppierungen nach der Wahl. „Wahrscheinlich ist, dass wir eine zusätzliche Rechtsaußen-Fraktion bekommen“, sagt sie. Mit der AfD, aber auch mit Bystron und Krah? Laut „Welt“ gibt es einen Antrag an den Bundesvorstand, beiden die Mitgliedsrechte zu entziehen. Eine Mehrheit dafür gibt es aber bisher nicht.