INTERVIEW

„Volles Bürgergeld für Wehrdienstverweigerer?“

von Redaktion

Innenminister Herrmann fordert Kurskorrektur gegenüber ukrainischen Flüchtlingen

Mehrere Millionen Ukrainer haben Zuflucht in Deutschland und anderen Staaten gefunden, um Putins Raketenterror zu entkommen. Die Aufnahme läuft unproblematisch, die Integration zumindest in den Arbeitsmarkt nicht. Hierzulande arbeiten derzeit nur gut 114 000 von ihnen. Wo hakt es, was muss sich ändern? Wir sprechen mit Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU). Er trifft morgen den ukrainischen Vize-Innenminister Vasyl Teteria zu einem Gespräch in Nürnberg.

In Deutschland sind vergleichsweise wenige ukrainische Flüchtlinge in Arbeit. Wird‘s besser, oder haben wir da noch ein großes Problem?

Wir haben erfreulicherweise eine ganze Reihe in Arbeit gebracht, mehr als jedes andere Bundesland. Aber es sind trotzdem zu wenige. Wir müssen das deutlich steigern. Viele Flüchtlinge kommen ja mit guter Ausbildung und aus geregelten Arbeitsverhältnissen zu uns. Das größte Problem bleibt die Entscheidung der Bundesregierung, sofort allen ukrainischen Flüchtlingen das volle Bürgergeld zu zahlen. Der Anreiz, Arbeit aufzunehmen, ist dadurch nicht allzu groß.

Realistisch betrachtet: Wird das je wieder korrigiert?

Das ist die klare Position der Union, auch wenn die Bundesregierung null Gesprächsbereitschaft zeigt. Wir müssen diese Fehlanreize stoppen. Das geht sonst zulasten aller Steuerzahler – und reicht weit über die Ukrainer hinaus. Im Bürgergeld-System gibt es auch für deutsche Empfänger, die zumutbare Arbeit ablehnen, zu wenig Sanktionen. Der Druck muss steigen, zumal viele, viele Betriebe dringend Mitarbeiter suchen.

Die CSU-Landesgruppe schlägt im Fall der Ukrainer vor: Wer zumutbare Arbeit ablehnt, soll in die Westukraine zurückgeschoben werden. Geht das zu weit?

Ich halte das auch wegen verbindlicher europäischer Regelungen für schwierig. Der entscheidende Hebel ist in dieser Frage die Senkung der Sozialleistungen.

Ein heikles Thema: Wie umgehen mit wehrfähigen Männern aus der Ukraine, die zu uns geflüchtet sind. Wie sehen Sie das?

Sehr kritisch. Darüber werde ich auch mit dem ukrainischen Kollegen reden. Wir bemühen uns in Deutschland, in der EU, in der Nato um bestmögliche Militärhilfe für die Ukraine. Gleichzeitig nehmen wir in Deutschland mindestens 200 000 Männer im wehrfähigen Alter auf. Für die Wehrdienstverweigerung winkt ihnen hier sogar noch das volle Bürgergeld. Auch damit setzen wir völlig falsche Anreize.

Sollten wir diese Männer zurücksenden?

So weit ich das rechtlich beurteilen kann, haben wir in dieser Frage keine Möglichkeit zu einem deutschen Alleingang. Europäische Regeln binden uns hier. Darüber müssen wir in Europa aber unbedingt reden. Die außenpolitische Lage ist so kritisch, dass wir in Deutschland darüber diskutieren, die Wehrpflicht wieder zu aktivieren. In dieser Situation können wir nicht jemanden ausdrücklich dafür belohnen, dass er sich der Wehrpflicht in seiner Heimat entzieht. Das ist nicht okay, das muss dringend korrigiert werden. Auch mit Blick auf andere Länder: Innerhalb der EU sollten wir solidarische Regeln haben statt der Möglichkeit, durch Umzug staatlichen Pflichten zu entgehen.

Der Kollege kommt zu Ihnen nach Nürnberg. Planen Sie den Gegenbesuch in Kiew?

Darüber werden wir sicherlich reden. Ich kann mir das vorstellen.

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