Manöver auf Gotland: Die schwedische Insel ist militärisch von großer Bedeutung, um die Ostsee zu kontrollieren. © Karl Melander/TT via www.imago-images.de
München – Die Wellen der Ostsee peitschen gegen die weißen Kalksteinklippen. Gotland, eine Insel mit Wikingergeschichte und Drehort des Filmklassikers Pippi Langstrumpf. Doch die Idylle der größten Insel Schwedens wird jetzt zum Mittelpunkt von Russlands Säbelrasseln Richtung Westen, Richtung Nato.
Micael Byden, der oberste Befehlshaber der schwedischen Armee, ist sich, „sicher, dass Putin sogar beide Augen auf Gotland geworfen hat“, wie er dem RND sagt. Ziel des russischen Präsidenten sei es, „die Kontrolle über die Ostsee zu erlangen“.
Die Ostsee, auch baltisches Meer genannt, ist das Gewässer zwischen Deutschland, Dänemark, Schweden, Finnland, den baltischen Staaten, Polen sowie Russland und der russischen Exklave Kaliningrad. Tatsächlich hat Russland angekündigt, seine Seegrenzen ändern zu wollen. In einer Initiative des russischen Verteidigungsministeriums ist die Rede von der „Bestimmung geografischer Koordinaten“. Angeblich seien die festgelegten Koordinaten aus Sowjetzeiten ungenau. Einen politischen Hintergrund für diese Vorhaben weist der Kreml zurück.
Doch die Nachbarstaaten sind alarmiert. „Wenn Russland die Kontrolle übernimmt und die Ostsee abriegelt, hätte das enorme Auswirkungen auf unser Leben – in Schweden und allen anderen Ostseeanrainerstaaten“, warnt Byden. Litauen sieht in diesem russischen Vorgehen eine „bewusste, gezielte und eskalierende Provokation“, heißt es vom Außenministerium.
CDU-Verteidigungspolitiker Roderich Kiesewetter erklärt gegenüber unserer Zeitung: „Russlands Ambitionen in der Ostsee sind schon länger absehbar.“ Mit seinem zunehmenden aggressiven Verhalten habe „Putin deutlich gemacht, dass er seine imperialen und kolonialen Bestrebungen auch auf die Ostsee ausweitet“. Die Bedrohung bestehe insbesondere für kritische maritime Infrastruktur wie Unterseekabel. Aber auch von Spionage und Sabotageakten sei auszugehen.
„Mit der Drohung Russlands wird keine neue Front eröffnet, vielmehr zeigt es, dass der Systemkrieg von Russland hybrid in allen Dimensionen bereits gegen uns geführt wird“, schätzt Kiesewetter die aktuelle Lage ein. „Fronten verschwimmen hier zunehmend, der Krieg wird von Russland entgrenzt geführt und unsere Gesellschaftssysteme sind das Ziel.“
Provokation und Destabilisierungsversuche gehören also zu Putins Kriegsrepertoire. Neuste Recherchen zeigen: Putin zündelt erneut an der Grenze zu Polen. Laut SZ, WDR und NDR ist in den vergangenen Monaten eine altbekannte Fluchtroute reaktiviert worden – die Belarus-Route. Demnach schleust Russland zusammen mit seinem Verbündeten Belarus wieder mehr Migranten Richtung Europäische Union.
Die Bundespolizei registrierte allein im März 412 Geflüchtete, die über die Route kamen, im April 670. Auch der polnische Grenzschutz verzeichnet in letzter Zeit mehr Einreisen aus Belarus. Zwar ist es nicht verwunderlich, dass Flüchtlingsrouten im Sommer verstärkt genutzt werden, dennoch gehen Sicherheitsbehörden von einer „hybriden Kriegsführung“ aus.
Das Schleuser-System funktioniert laut den Medienberichten nach immer dem gleichen Schema: Russland vergibt großzügig Einreisevisa, um Migranten anzulocken. Von Moskau oder St. Petersburg werden die Menschen dann nach Belarus gebracht, um sie von dort in die EU zu schicken. Destabilisierung mit Menschenleben.
Aber auch den virtuellen Raum nutzt Putin für seine Kriegszwecke. Seit einiger Zeit beobachtet das Bundesinnenministerium eine dubiose russische Desinformationskampagne. Dabei werden Promis vermeintliche Zitate über den Ukraine-Krieg in den Mund gelegt – pro Russland, anti Westen. Betroffen sind etwa der Rammstein-Sänger Till Lindemann, der über eine angeblich „sinnlose Hilfe für die Ukraine“ gewettert haben soll, oder der Schauspieler Til Schweiger.
Putin zieht in seinem Krieg also alle Register, um zu verunsichern, zu destabilisieren und zu spalten. Was das Säbelrasseln in der Ostsee betrifft, fordert der CDU-Außenpolitiker Kiesewetter, dass sich Deutschland an die „hybride Bedrohung“ anpasst. Es sei jetzt notwendig, „endlich die Bundeswehr in allen Dimensionen ,kriegstüchtig‘ aufzustellen und finanzielle Planungssicherheit zu schaffen“.