Netanjahu: Haftbefehl beim Staatsbesuch?

von Redaktion

Wirbel um Regierungsaussagen: Merz sieht „Skandal“ – Ungarn schließt Auslieferung aus

Künftig unmöglich? Scholz und Netanjahu 2023 gemeinsam in Berlin. © kappeler/dpa

Berlin – Man stelle sich das vor: Israels Regierungschef landet auf einem Flughafen in Deutschland. Doch anstatt ihm den Roten Teppich auszurollen, lässt die Bundesregierung die Handschellen klicken. Was bisher undenkbar klang, ist eit dieser Woche ein Szenario, das in Betracht gezogen werden muss. Am Montag hat der Chefankläger am Internationalen Strafgerichtshof (IStGH), Karim Khan, wegen mutmaßlicher Verbrechen gegen die Menschlichkeit einen Haftbefehl gegen Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu beantragt. Deutschland gehört zu den 124 Staaten, die das römische Statut, also die vertragliche Grundlage des IStGH, ratifiziert haben. Kurzum: Anders als für die USA, Russland oder China, die das Gericht nicht anerkennen, ist ein solcher Haftbefehl für Deutschland verpflichtend – dazu kommt noch eine gewisse moralische Fallhöhe, weil Berlin in der Vergangenheit den Wert solcher internationalen Einrichtungen immer wieder betont hat. Und so hat auch Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Mittwoch auf die Frage, ob sich Deutschland an Entscheidungen des Strafgerichtshofs halten werde, geantwortet: „Ja, wir halten uns an Recht und Gesetz.“

Doch geht es diesmal eben nicht um irgendeinen Kriegsfürsten aus einem Kleinstaat fernab der öffentlichen Wahrnehmung. Im Raum steht, dass der Regierungschef des Staates, der sich auch als Schutzraum für Juden weltweit versteht, vor den Augen der Welt verhaftet wird – und zwar in dem Land, von dem vor rund 80 Jahren der Holocaust ausging. Politisch heikler geht‘s kaum.

Für CDU-Chef Friedrich Merz ist schon die gleichzeitige Beantragung von Haftbefehlen gegen Netanjahu und die Führung der radikalislamischen Hamas eine absurde Täter-Opfer-Umkehr. „Aber das Schweigen der Bundesregierung bis hin zur Andeutung des Regierungssprechers, dass Netanjahu auf deutschem Boden verhaftet werden könnte, wird nun wirklich zum Skandal.“ Natürlich müsse man auch die israelische Regierung kritisieren, erklärt Merz. „Aber der Internationale Strafgerichtshof ist eingerichtet worden, um Despoten und autoritäre Staatsführer zur Rechenschaft zu ziehen, nicht um demokratisch gewählte Regierungsmitglieder festzunehmen.“ Der Oppositionsführer fordert Olaf Scholz (SPD) zur Stellungnahme auf. „Was ist eigentlich die vielbeschworene Solidarität zu Israel noch wert, wenn sich der deutsche Regierungssprecher zu solchen Aussagen hinreißen lässt? Und ist das auch die Meinung des Bundeskanzlers?“

Am Donnerstag äußerte sich Scholz zunächst nicht selbst. Seine Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) war schon zuvor in einem „Bild“-Interview auf die konkrete Frage, ob Netanjahu nun in Deutschland verhaftet würde oder nicht, ausgewichen. Sie sprach aber auch den vielsagenden Satz: „Wir können uns doch nicht aussuchen, heute gefällt uns mal ein Gericht und morgen nicht.“ Zumal, wenn man gleichzeitig andere – auch EU-Mitglieder – daran erinnere, die Unabhängigkeit von Gerichten zu achten.

Ein anderer EU-Staat sieht das offensichtlich weniger eng. Im Falle eines Besuches in Ungarn müsse der israelische Regierungschef nicht mit einer Festnahme rechnen, sagte gestern Kanzleramtsminister Gergely Gulyas in Budapest. SEBASTIAN HORSCH

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