„Europa ist kein Supermarkt“

von Redaktion

Macron hält in Dresden ein flammendes Plädoyer für gemeinsame Werte und eine gemeinsame Verteidigungspolitik

„Lasst uns aufwachen!“ Emmanuel Macron warnte in Dresden vor dem Erstarken extremer Kräfte. © afp/Hartmann

Berlin/Dresden – Bejubelt von zigtausenden jungen Zuhörern hat Frankreichs Präsident Emmanuel Macron in Dresden ein flammendes Plädoyer für Europa gehalten. „Wir müssen die Kraft, das Engagement wiederfinden, es (Europa) überall zu verteidigen“, appellierte der französische Staatschef am Montag vor der Frauenkirche. Immer wieder wechselte er bei seiner Rede vom Französischen ins Deutsche und begeisterte das vorwiegend junge Publikum mit seinen ehrgeizigen Visionen und persönlichen Noten. Den Gipfel fand sein Auftritt bei der „Fête de l‘Europe“, als Macron mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, einem Jugendchor und dem Publikum die Europa-Hymne sang.

In seiner gut 40-minütigen, leidenschaftlichen Rede pochte Macron an dem geschichtsträchtigen Ort darauf, dass ein starkes und souveränes Europa nötig sei. Denn Europa befinde sich am Scheideweg, sagte der französische Staatschef vor Jugendlichen auch aus Polen, Tschechien und Frankreich. „Europa ist eine Geschichte von Frieden, Wohlstand und Demokratie.“ All dies sei nun aber bedroht, wenn Europa nicht handele. Europa könne sterben, warnte Macron. „Europa ist ein Garant für Frieden. Für viele von uns klang dieses Argument lange Zeit überholt. Doch heute herrscht wieder Krieg in Europa.“

Gerade angesichts des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine beschwor Macron die Notwendigkeit einer eigenständigen europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, innerhalb der Nato müssten die Europäer als Alliierte agieren. Forderungen, die Macron vor einem Monat erst in einer viel beachteten Rede in der Pariser Sorbonne-Universität herausgehoben hatte, ebenso wie seine Vision für ein wirtschaftlich eigenständiges Europa. In der Wirtschaftspolitik müsse Europa souveräner und unabhängiger werden, insbesondere gegenüber der Konkurrenz durch China und die USA, betonte der Präsident. „Europa braucht ein Wachstumsmodell für künftige Generationen.“

Knapp zwei Wochen vor der Europawahl warnte Macron in Dresden auch vor dem Erstarken von Extremen in Europa – auch vor dem Hintergrund, dass die Rechtsnationalen um Marine Le Pen Umfragen zufolge bei dem Votum in Frankreich stärkste Kraft werden und Macrons Liberale deutlich überholen dürften. Demokratie und Freiheit seien allen als so selbstverständlich erschienen, meinte Macron. Nach dem Mauerfall habe man gedacht, dieser Wind werde sich überall ausbreiten.

„Aber lasst uns heute um uns schauen! Lasst uns die Faszination für autoritäre Regime anschauen. Lasst uns in Europa den illiberalen Moment anschauen, den wir durchleben!“ Macron mahnte, viele wollten zwar die Gelder aus den EU-Töpfen in Brüssel beziehen, doch von unabhängiger Justiz, Pressefreiheit, Kulturvielfalt und Autonomie der Universitäten nichts wissen. „Diese Tendenz ist keine Tendenz, sie ist Realität in Ungarn. Das war Realität bis zu den wunderbaren Wahlen in Polen.“ Dort kam es im Herbst zum Regierungswechsel. Macron ergänzte: „Überall in unseren Demokratien gedeihen diese Ideen, denen von den Extremen und besonders den Rechtsextremen Aufschwung gegeben wird.“

Eindringlich forderte der 46-Jährige: „Lasst uns aufwachen! Unser Europa ist kein Supermarkt!“ Europa sei nicht nur ein Ort, an dem man sich gemeinsame Regeln gebe. „Es ist eine Säule der Werte, der Kultur, der individuellen und politischen Freiheiten.“ Man müsse Europa verteidigen und auf die Sorgen und auf die Gründe für die Wut mit einem Europa des Respekts antworten. „Ein Europa, das in gewisser Weise einen Humanismus von Grund auf aufbaut.“

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