Israel räumt „tragischen Fehler“ ein

von Redaktion

Der Tag danach: Ein Teil des Flüchtlingslagers wurde durch ein Feuer zerstört. Die von der Hamas kontrollierte Gesundheitsbehörde sprach von mindestens 45 Toten. © dpa/Alshrafi

Tel Aviv/Gaza – Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu hat den tödlichen Luftangriff in Rafah im südlichen Gazastreifen als „tragischen Fehler“ bezeichnet. Die Tragödie sei trotz der israelischen Bemühungen, Schaden von Zivilisten abzuwenden, geschehen, sagte Netanjahu israelischen Medien zufolge gestern Abend im Parlament. Israels Regierungschef will die Offensive in Rafah demnach aber fortzusetzen.

Bei dem Luftangriff am Sonntagabend wurden nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde mindestens 45 Menschen getötet und dutzende weitere verletzt. Die Behörde sprach von einem „Massaker“. Die meisten der Toten seien Frauen und Minderjährige. Der Vorfall löste international Entsetzen und Empörung aus. UN-Generalsekretär António Guterres verurteilte Israels Vorgehen. „Dieser Horror muss aufhören“, schrieb er auf X.

Neue Sorgen, dass der Gaza-Krieg sich ausweiten könnte, bereitete zudem ein Schusswechsel zwischen israelischen und ägyptischen Truppen nahe der Grenze zum Gazastreifen. Dabei sei ein ägyptischer Soldat getötet worden, teilte ein Sprecher des ägyptischen Militärs mit. Es ist das erste öffentlich bekannte Todesopfer in den Reihen des ägyptischen Militärs seit Beginn des Gaza-Kriegs vor bald acht Monaten. Ägypten hatte als erstes arabisches Land 1979 einen Friedensvertrag mit Israel geschlossen.

Das israelische Militär bestätigte in der Nacht, es habe am Sonntagabend einen gezielten Luftangriff auf ein Gelände der islamistischen Hamas im Stadtteil Tal al-Sultan in Rafah gegeben. Er habe zwei ranghohen Hamas-Mitgliedern gegolten. Neben Jassin Rabia, dem maßgeblichen Kopf hinter den Terroraktivitäten im Westjordanland, sei auch das ranghohe Hamas-Mitglied Chaled Nagar getötet worden. Die Berichte, dass infolge des Luftangriffs ein Feuer ausgebrochen sei, bei dem Unbeteiligte zu Schaden gekommen seien, würden überprüft.

Der Palästinensische Rote Halbmond erklärte, das getroffene Gebiet sei eine der ausgewiesenen humanitären Zonen für jene Menschen, die wegen der israelischen Kampfhandlungen zur Evakuierung gezwungen gewesen seien. In Sozialen Medien kursierten verstörende Videos, die zeigten, wie verkohlte Leichen aus brennenden Zelten geborgen wurden.

Israels oberste Militäranwältin stufte den Angriff in Rafah als „sehr schwerwiegenden“ Vorfall ein. „Es liegt in der Natur der Sache, dass in einem Krieg von diesem Umfang und dieser Intensität auch schwerwiegende Vorfälle passieren“, sagte Generalmajor Jifat Tomer-Jeruschalmi. „Ein Teil der Vorfälle – wie jener gestern in Rafah – sind sehr schwerwiegend.“

Der Internationale Gerichtshof (IGH) hatte Israel am Freitag verpflichtet, den Militäreinsatz in Rafah unverzüglich zu beenden. Es dürften keine Lebensbedingungen geschaffen werden, „die zur vollständigen oder teilweisen Vernichtung der palästinensischen Bevölkerung in Gaza führen könnten“. Das höchste UN-Gericht ordnete aber keine Waffenruhe für Gaza an. Entscheidungen des Weltgerichts sind bindend. Allerdings besitzen die UN-Richter keine Mittel, um einen Staat zur Umsetzung zu zwingen.

Das Außenministerium in Jerusalem teilte nach dem Urteil mit, Israel habe in Rafah keine Militäraktionen durchgeführt, die den Anschuldigungen entsprächen. Nach Medienberichten interpretierte der israelische Richter Aharon Barak das Urteil so, dass kein vollständiger Stopp der Offensive in Rafah angeordnet worden sei.

Die Bundesregierung ging bereits vor Netanjahus Erklärung davon aus, dass es im Zusammenhang mit dem Angriff einen Fehler der israelischen Seite gegeben habe. „Auf alle Fälle ist ein Fehler passiert, das kann man jetzt schon sagen“, erklärte Regierungssprecher Steffen Hebestreit.

Außenministerin Annalena Baerbock sagte später: „Es gab weitere Raketen auf Tel Aviv von der Hamas, und zugleich sehen wir, dass es kein Gewinn für Israels Sicherheit ist, dass keine Geisel freikommt, wenn jetzt Menschen in Zelten verbrennen.“ Die Grünen-Politikerin sagte weiter: „Das internationale Völkerrecht, das humanitäre Völkerrecht, das gilt für alle.“ Auch Entscheidungen des Internationalen Gerichtshofs (IGH) seien bindend und müssten natürlich befolgt werden, sagte Baerbock. „Wir erleben gerade das Gegenteil.“

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