Auf Frieden gesetzt: Bundeskanzler Olaf Scholz und SPD-Spitzenkandidatin Katarina Barley auf einem gemeinsamen Plakat zur anstehenden Europawahl. © SZ Photo
München/Berlin/Erfurt – Als die Bundesregierung der Ukraine das „Feuer frei“-Signal gibt, weilt der Kanzler auf dem Katholikentag. Olaf Scholz spricht in Erfurt vom „großen Krieg“, den es zu vermeiden gilt. Gemeint ist natürlich eine militärische Auseinandersetzung zwischen der Nato und Russland.
Das passt zum Friedenskanzler, den Scholz im Europawahlkampf gerne gibt. „Frieden sichern – SPD wählen“ hat seine Partei auf Plakate drucken lassen, die die Gesichter von Scholz und Spitzenkandidatin Katarina Barley zeigen. Fast zeitgleich allerdings veröffentlicht die Bundesregierung am Freitagvormittag eine Erklärung, wonach die Ukraine künftig auch von Deutschland gelieferte Waffen einsetzen darf, um Stellungen in Russland anzugreifen.
Es geht um die Verteidigung der Stadt Charkiw nahe der russischen Grenze, die Putins Truppen unter anderem mit Gleitbomben und Geschossen in Schutt und Asche legen, die von Stellungen auf russischem Boden auf den Weg geschickt werden. Die Ukraine durfte bis vor Kurzem nicht zurückschießen, zumindest nicht mit Waffen aus dem Westen, deren Einsatz die Nato-Staaten nur auf ukrainischem Territorium erlaubten.
Doch dann gab es einen bemerkenswerten Auftritt des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, der auf einer Pressekonferenz mit Scholz darauf drang, der Ukraine genau solche Gegenangriffe zu erlauben. Scholz ging wenig darauf ein, er widersprach aber auch nicht. Und die Dynamik nahm ihren Lauf. Die Dänen, die Tschechen und schließlich auch die USA sprachen die Erlaubnis aus, ihre Waffen gegen russische Stellungen in Russland einzusetzen. Am Freitag folgen dann auch die Deutschen dem Beispiel aus Washington. In einer knappen Erklärung ist Berlins Erlaubnis zum Zurückfeuern nüchtern formuliert. Dazu in der Lage ist Experten zufolge zum Beispiel die deutsche Panzerhaubitze 2000 oder das MARS-II-System.
Der Zeitpunkt des Kurswechsels kommt für die SPD zur Unzeit
Nun sind breitbeinige Auftritte ohnehin nicht der Stil des Kanzlers – und wohl noch weniger, wenn es um Menschenleben geht. Nicht zum ersten Mal ließ er den großen Partner USA in Ukraine-Fragen den Takt vorgeben. Doch dass Scholz zuvor seinen Regierungssprecher tagelang zwang, Fragen zu dem Thema auszuweichen wie Slalomstangen, könnte womöglich nicht allein der Ernsthaftigkeit der Angelegenheit geschuldet sein. Der Zeitpunkt für den Kurswechsel kommt eine Woche vor der Europawahl für den Kanzler und seine Partei zur Unzeit. Eigentlich sollte der „Kurs der Besonnenheit“ die Sozialdemokraten sogar noch viel weiter tragen – nämlich auch noch durch die im Herbst anstehenden Landtagswahlen im Osten und vielleicht sogar bis zur Bundestagswahl 2025. Nun ergibt sich hingegen neue Angriffsfläche. BSW-Parteigründerin Sahra Wagenknecht warnt in der „Augsburger Allgemeinen“ bereits, Scholz bringe Deutschland „einem Dritten Weltkrieg beängstigend nahe“. Seit zwei Jahren überschreite Deutschland eine rote Linie nach der anderen und werde so immer mehr zur Kriegspartei. Linken-Politiker Dietmar Bartsch nennt die Entscheidung „grob fahrlässig“.
Auch innerhalb der SPD könnten noch Konflikte drohen. Denn nicht alle in der Partei signalisierten schon im Vorfeld Offenheit für eine Aufhebung von Beschränkungen wie Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD). Fraktionschef Rolf Mützenich zum Beispiel gilt eher als Befürworter einer möglichst vorsichtigen Politik gegenüber Russland als einer der mutigen Unterstützung der Ukraine. Er hält sich mit einer Einschätzung am Freitag noch zurück.
Lob für die Entscheidung kommt von den Grünen, aus der FDP und auch aus der Opposition – mit Abstrichen. Unionsfraktionsvize Johann Wadephul begrüßt das „endlich“ erfolgte Umdenken. „Die Entscheidung hat quälend lange gedauert, aber jetzt zählt das Ergebnis, denn die militärische Lage der Ukraine ist ernst“, sagt er dem „Spiegel“. Und auch Scholz selbst lobt sich ein bisschen. Nur mit Besonnenheit könnten die Dinge „in einer so gefährlichen Situation ordentlich bewältigt werden“, sagt der Kanzler. Er könne allen versprechen, „dass egal, wie groß der Druck ist, ichjedes Mal nach dieser Maxime handeln werde“.