„Söder übertreibt“: Erwin Huber (r.) und sein Gruß unter Parteifreunden. © dpa/2018
München – Vor vielen Jahren, es dürften mehr als 20 sein, hat Erwin Huber seine politische Taktik in eine kurze Formel gepackt: „Rumpeln muss es!“ Er beherzigt sie heute, als Ruheständler, noch in unregelmäßigen Abständen. Jetzt, gut eine Woche vor der Europawahl, lässt es der ehemalige CSU-Vorsitzende mal wieder kräftig rumpeln. In einem Interview knöpft er sich seinen Parteichef vor. Er wirft ihm strategische Fehler vor, will ihn nach Berlin weiterloben, aber dort nur als Minister.
Im „Spiegel“ kritisiert Huber vor allem Söders Kurs gegenüber den Grünen. „Die kategorische Absage an eine Koalition ist strategisch kurzsichtig. Die CDU scheint das mittlerweile zu begreifen, wir in der CSU noch nicht“, sagt er. Söders Anspielungen, die Partei wolle der Bevölkerung Fleisch und Wurst wegnehmen, seien „übertrieben, gleiches gilt für seinen Vergleich einer grünen Ministerin mit Margot Honecker“. Letzteres war, das ist einschränkend zu ergänzen, beim derben Politischen Aschermittwoch gefallen in Richtung Umweltministerin Steffi Lemke.
Huber fordert, mit den Grünen müsse man „hier und da“ koalieren können. Damit liegt er näher bei CDU-Chef Friedrich Merz. Ihn ruft Huber auch zum nächsten Kanzler aus („wird ein guter werden, hat die Reife“). Für Söder hat er nur die in ein Lob verpackte Empfehlung, in die Bundespolitik zu wechseln. Durch das neue Wahlrecht sei die CSU existenziell bedroht. „In solch einer Situation muss der Beste, den wir haben, nach vorne. Es ist eine historische, ja heilige Pflicht für den CSU-Vorsitzenden, in der Gefahr an der Spitze des Heeres in die Schlacht zu ziehen.“ Söder müsse für den Bundestag kandidieren und dürfe hinterher auch nicht „feige sagen, der Sessel in München ist bequemer als die harten Bänke in Berlin“.
Auch über Gedankenspiele, Söder könne von der Union als Kandidat fürs Bundespräsidentenamt ins Rennen geschickt werden, äußert sich Huber. Und zwar sehr ablehnend. „Wir brauchen jemanden, der die Gesellschaft wieder zusammenführt.“ Söder sei „ein hochtalentierter Politiker, aber er ist kein Versöhnertyp“.
In der recht gleichförmig auftretenden CSU ist Kritik am Chef ungewöhnlich. Huber hat mit seinen 77 Jahren viel Unabhängigkeit und wenig Karrierepläne, kann es sich also leisten. Großen Widerhall findet er mit seiner Kritik in der Partei allerdings auch nicht. Nach der Landtagswahl blieben die Reihen hinter Söder weitgehend geschlossen. Und vor der Europawahl am 9. Juni werden Konflikte ohnehin nicht offen ausgetragen. Selbst Söder und Spitzenkandidat Manfred Weber halten sich zurück, treten heute sogar gemeinsam zum „Radi-Essen“ in Niederbayern auf.
Auch wegen des Zeitpunkts gibt es intern Murren über Hubers Interview. Freundlich formuliert: Der 77-Jährige hat ein Gespür für sensible Momente für parteiinterne Attacken. Ende 2017 durfte das schon Horst Seehofer erleben. „Befehl und Gehorsam war der Stil des 19. Jahrhunderts“, so zerpflückte ihn Huber damals.
Teil des „Spiegel“-Gesprächs sind auch Attacken auf Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger. Niemand traue seiner Erklärung in der Flugblatt-Affäre, das Pamphlet sei von Aiwangers Bruder geschrieben worden. „Das glauben ihm die Leute nicht einmal bei uns in Niederbayern.“ Er nennt die „Fixierung auf Bierzelte“ bei Aiwanger problematisch. „Wir dürfen die Begründung der Politik nicht auf ein paar Parolen reduzieren.“ Es sei „falsch, das Bierzelt zum Maßstab der Eignung eines Politikers für Staatsämter zu machen“. Auch das dürfte sich aber nicht allein auf Aiwanger beziehen. CHRISTIAN DEUTSCHLÄNDER