„Das muss uns zu denken geben“

von Redaktion

Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) am Sonntag mit Herrmann beim Besuch in Reichertshofen © Sven Hoppe/dpa

Innenminister Joachim Herrmann (M.) mit Ministerpräsident Markus Söder und Helfern am Rande einer überfluteten Straße in Diedorf. © Karl-Josef Hildenbrand/dpa

Überschwemmungen an Orten, an denen man nie damit gerechnet hat: Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU), zuständig für Katastrophenschutz, rät nach seinem Besuch in Flutgebieten zu einem Umdenken. Wir haben am Sonntag mit Herrmann telefoniert.

Ist das Schlimmste überstanden, oder kommt der Scheitelpunkt noch?

Der Scheitelpunkt dürfte in den meisten Gebieten Schwabens und auch im Allgäu erreicht sein. Die Niederschläge lassen nach. Wir wissen aber noch nicht, was nun an der Donau folgt, ob dort Evakuierung und Hochwasserschutz ausreichen.

Folgt nun eine Flutkatastrophe für Ostbayern, gerade Deggendorf und Passau?

Der Regen dort hat sich in Grenzen gehalten. Aber aus den Zuflüssen strömt sehr viel Wasser in die Donau. Wir sind permanent in Kontakt mit den Spezialisten aus der Wasserwirtschaft. Für die Lage in Passau wird der Inn entscheidend sein, dort ist die Belastung momentan noch nicht so schlimm. Trotzdem haben wir sicherheitshalber für zwei Tage Hilfe und spezialisierte Wasserrettungskräfte aus anderen Bundesländern angefordert. Auch um unsere Helfer, die teils seit zwei Tagen und Nächten im Einsatz sind, ablösen zu können.

Wie gut war Bayern vorbereitet auf das Unwetter?

Sehr gut, was die Ausstattung unserer Feuerwehren und Rettungskräfte betrifft. Was wir aber feststellen müssen: Das Hochwasser hat uns in einer Reihe von Orten getroffen, wo wir nicht damit gerechnet haben. Also enorme Überschwemmungen teils fernab von Gewässern, wo eben der Regen so intensiv war, dass ihn die Natur nicht mehr aufnehmen konnte. Das muss uns zu denken geben für die Zukunft. Wir müssen Retensionsräume nicht nur entlang der großen Flüsse denken, sondern brauchen Auffangräume für Wasser im ganzen Landesgebiet.

Nun kämpfte Ihr Kabinettskollege Aiwanger recht intensiv gegen Flutpolder, jedenfalls bestimmte. Sollte auch er umdenken?

Ich glaube, das haben wir hinter uns gelassen. Es gibt eine klare Position der Staatsregierung: Wir müssen Flutpolder und Retensionsräume ausbauen. Die Förderprogramme laufen. Wichtig ist, dass sich alle Landkreise damit beschäftigen, nicht nur die entlang der großen Flüsse.

In einigen Landkreisen gilt der Katastrophenfall. Hilft die Bundeswehr?

Ja, und ich bin sehr dankbar, wie schnell und unkompliziert das angelaufen ist. Mehrere hundert Soldaten sind schon im Einsatz. Gerade habe ich im Landkreis Pfaffenhofen Soldaten getroffen, die mit ihren Spezialfahrzeugen beim Evakuieren helfen. Das ist eine wichtige Ergänzung für unsere Helfer, von denen in den letzten Tagen knapp 40 000 im akuten Einsatz waren.

Können Sie die Schäden schon abschätzen?

Im Moment noch überhaupt nicht. Priorität hat jetzt überall, die Menschen in Sicherheit zu bringen und noch größere Sachschäden zu verhindern. Erst wenn das Wasser abgeflossen ist, werden wir den Gesamtschaden einschätzen können. Wir werden auf jeden Fall am Dienstag im Kabinett über unkomplizierte Hilfen für betroffene Bürger beraten.

Müssen wir über eine Pflichtversicherung gegen Elementarschäden neu nachdenken?

Ja, und ich verstehe die jahrelange Verzögerungstaktik des Bundesjustizministeriums in dieser Frage überhaupt nicht. Wir sehen doch, wie sehr solche Katastrophen inzwischen Orte erreichen, die bisher überhaupt nicht betroffen waren. Sie kämpfen jetzt gegen Starkregen und Überschwemmungen oder erleben schwere Hagelschäden wie im letzten Jahr. Es kann fast jedes Haus in jedem Ort getroffen werden. Deswegen sollten wir dazu kommen, dass sich alle Immobilieneigentümer versichern müssen. Die Zahl der versicherten Gebäude ist zwar gestiegen, aber wir müssen angesichts der neuen, nicht mehr klar lokalisierbaren Gefahren über eine Pflicht reden.

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