Glitter trotz Schlappe: Indiens Premier Modi feiert sich als Wahlsieger – doch die absolute Mehrheit verpasste seinehindu-nationalistische Bharatiya Janata Party (BJP). © SANKAR/AFP
Neu-Delhi/München – Nach dem sechswöchigen Wahl-Marathon hätte es ein Erdrutschsieg werden sollen. Am Ende aber wurde es überraschend knapp für Narendra Modi. Zwar ging seine Partei, die hindu-nationalistische Bharatiya Janata Party (BJP), als Siegerin aus der indischen Parlamentswahl hervor, jedoch verliert sie ihre absolute Mehrheit.
In den vergangenen zehn Jahren hatte Modis BJP das Regierungsbündnis National Democratic Alliance (NDA) dominiert, nun ist sie auf zwei kleinere Partner angewiesen. Die Parteien Telugu Desam und Janata Dal erklärten am Dienstag, eine dritte Amtszeit von Modi zu unterstützen. Es ist dennoch eine Schmach für den selbstbewussten Premier. Er hatte das Ziel ausgegeben, mit seiner Allianz 400 der 543 Parlamentssitze zu holen. Die Wähler hätten Modi eine klare Botschaft mitgegeben, sagte Oppositionsführer Rahul Gandhi am Dienstagabend: „Wir wollen dich nicht.”
Am Wochenende hatten Nachwahlbefragungen noch auf einen klaren Sieg für Modi hingedeutet, die Börsen reagierten zunächst euphorisch, am Dienstag dann fielen die Kurse zeitweise um acht Prozent. Die Abstimmung, die sich seit Mitte April hingezogen hatte, dürfte vor allem ein Votum über Modis Wirtschaftspolitik gewesen sein.
Vor einem Jahrzehnt kam er mit dem Versprechen an die Macht, die indische Wirtschaft umzugestalten. Unter ihm ist der Subkontinent zur fünftgrößten Volkswirtschaft der Welt aufgestiegen. In Indien werden iPhones zusammengeschraubt, wächst eine zunehmend selbstbewusste Mittelschicht heran, werden Flughäfen und neue Eisenbahnlinien aus dem Boden gestampft. Modi hat sich zum Ziel gesetzt, Indien bis 2047 zu einer entwickelten Nation zu machen. Es ist eine Erfolgsgeschichte – von der aber nicht alle gleichermaßen profitieren.
Modis BJP wurde offenbar dafür abgestraft, dass der Wirtschaftsaufschwung der vergangenen Jahre bei vielen Menschen nicht angekommen ist. Laut Weltbank lag das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen in Indien im Jahr 2022 bei rund 2400 US-Dollar; verglichen mit fast 49 000 Dollar in Deutschland ist das immer noch sehr wenig. Viele Menschen finden keinen Job, Arbeitslosigkeit und Inflation sind hoch. Rund 800 Millionen der 1,4 Milliarden Menschen kommen offiziellen Angaben zufolge nur mit Sozialhilfe über die Runden. Das Wachstum ist extrem ungleich verteilt. Immer wieder wies das Oppositionslager um die Kongresspartei auf diese Zustände hin – und fand nun Gehör.
Wenig Platz in Modis neuem Indien haben auch die mehr als 200 Millionen Muslime im Land. Im Wahlkampf, der zunächst nur schleppend anlief, beschimpfte Modi sie als „Eindringlinge“, offenbar wollte er so seine Stammwähler mobilisieren. Im Januar weihte Modi im nordindischen Ayodhya einen Hindu-Tempel ein – errichtet auf den Ruinen einer Moschee, die ein fanatischer Hindu-Mob 1992 zerstört hatte. Dort, im Bundesstaat Uttar Pradesh, hat Modis BJP nun offenbar auch Stimmen eingebüßt. Unter Modi ist die Religion politisch geworden. Statt das Volk zu einen, wie einst Freiheitskämpfer Mahatma Gandhi, setzt er auf Spaltung.
Das Oppositionslager warnte zudem immer wieder vor einer Aushöhlung der Demokratie unter Modi. Auch wenn die Wahlkommission die Parlamentswahl mit knapp einer Milliarde zur Abstimmung gerufenen Menschen gerne die „größte demokratische Übung der Welt“ nannte, machen sich viele Sorgen. „Wenn man Modis zweite Amtszeit als Maßstab nimmt, wird eine dritte Amtszeit nicht gut für die langfristige Gesundheit der indischen Demokratie sein“, so der Politologe und Südasien-Experte Sumit Ganguly von der Indiana University in den USA.
Von westlichen Regierungen hört man dennoch nur selten Kritik an Modi. Joe Biden, Olaf Scholz – sie hofieren den starken Mann aus Indien. Weil das Land im Kampf gegen den Klimawandel eine entscheidende Rolle spielt, schließlich leben dort mehr Menschen als in jedem anderen Staat der Erde. Und weil Indien eine Art Bollwerk ist gegen seinen großen Nachbarn, die Einparteiendiktatur China. Da verzeiht man dem Land auch seine Nähe zu Russland, der auch der Ukraine-Krieg kaum Abbruch getan hat.