Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bei der D-Day-Zeremonie mit einem der letzten lebenden Veteranen. © afp
München – Aus welchen Gründen auch immer: Es gibt eine lange Tradition europäischer Diplomaten und Politiker, die eher abwertend über den amerikanischen Stil der Außenpolitik sprechen. Amerikaner gelten als naiv und simpel und verwechseln ihre eigenen politischen Ideale allzu oft mit universellen moralischen Prinzipien. An der Kritik könnte etwas dran sein. Denn wenn wir Außenpolitik mit moralischen Kreuzzügen verwechseln, neigen wir dazu, uns unmögliche Ziele zu setzen und uns dann in die Isolation zurückzuziehen, wenn wir sie nicht erreichen.
Und doch ist moralische Einfachheit manchmal genau das, was nötig ist, und das, was die Grundlage amerikanischer Größe bildet. So war es am 6. Juni 1944, als 73 000 amerikanische Soldaten an den Küsten der Normandie landeten, um Europa von einer Tyrannei zu befreien, die nichts anderes als das Böse war. Bereits am ersten Tag starben 2500 Amerikaner. Während der darauffolgenden Schlacht um die Normandie wuchs diese Zahl schließlich auf über 29 000.
Für viele war die Idee einer Landung in der Normandie schlichter Wahnsinn. Der Erfolg wurde jedoch durch den Idealismus junger Amerikaner gesichert. Einer von ihnen war Leutnant Jack Lundberg. Am 3. Dezember 1918 im Bundesstaat Utah geboren, war er Navigator in einem B-17-Bomber. Nach dem Abwurf seiner Bomben zur Unterstützung der Bodentruppe wurde Lundbergs Flugzeug am 22. Juni von feindlichem Feuer getroffen. Die Leiche des 25-jährigen Lundberg wurde von französischen Bürgern in der Nähe des Somme-Ufers gefunden. Nun ruht er für immer auf dem Normandy American Cemetery. Seinen Grabstein findet man in Abschnitt B, Reihe 10, Grab 17.
Was dachte Jack Lundberg im Juni 1944? Nur wenige Wochen vor seinem Tod schrieb er an seine Eltern:
„Liebe Mama, Papa und Familie, jetzt, wo ich tatsächlich hier bin, sehe ich, dass die Chancen, dass ich zu Euch allen zurückkehre, ziemlich gering sind, deshalb möchte ich diesen Brief jetzt schreiben, solange ich noch dazu in der Lage bin. Ich möchte, dass Ihr wisst, wie sehr ich jeden von euch liebe. Ihr bedeutet mir alles und es ist die Erkenntnis deiner Liebe, die mir den Mut gibt, weiterzumachen…
Ihr habt wahrlich mehr als genügend Krankheiten und Todesfällen in der Familie erlebt – und dennoch habt Ihr weiterhin vorbildlich so vorgelebt, wie es wahre Eltern tun. Es tut mir leid, Euren Kummer noch zu vergrößern, aber seid jederzeit darüber im Klaren, dass meine Gedanken ständig bei Euch sind und dass ich das Gefühl habe, dass ich auf eine kleine Weise dabei helfe, diesen verschwenderischen Krieg zu einem Ende zu bringen.
Wir in den Vereinigten Staaten haben etwas, wofür wir kämpfen müssen – das ist mir noch nie so klar geworden. Es gibt einfach kein anderes Land mit vergleichbarem Reichtum, Fortschritt oder Lebensstandard. Die USA sind ein Opfer wert!
Denke immer daran, dass ich Euch alle innig liebe und stolz auf Euch bin. Betrachtet, Maria, meine Frau, als diejenige, die meinen Platz im Familienkreis übernimmt und wachet aufeinander.
Liebe Grüße an meine Familie,
Jack“
Während wir heute den 80. Jahrestag des D-Day begehen, ist Europa erneut mit dem Bösen konfrontiert. Heute sind es ukrainische Männer und Frauen, die zwischen uns und der Tyrannei stehen. Und wiederum halten viele den Widerstand für reinen Wahnsinn.
Ich hingegen finde es angemessener, all jene anzufeuern, die vom einfachen Idealismus von Lt. Lundberg beseelt sind.
*James W. Davis ist US-Amerikaner, lebt in München und lehrt Politikwissenschaft an der Universität St. Gallen (Schweiz).