Mannheim/München – Ein AfD-Kandidat für die Kommunalwahl in Mannheim ist bei der Verfolgung eines Wahlplakate-Diebes mit einem Messer verletzt worden. Ein 25 Jahre alter Tatverdächtiger wurde gefasst und kam in ein psychiatrisches Krankenhaus. Bei der Festnahme habe es deutliche Hinweise auf eine psychische Erkrankung gegeben, teilten Polizei und Staatsanwaltschaft mit. „Nach dem derzeitigen Ermittlungsstand liegen keine konkreten Hinweise vor, dass der Tatverdächtige bei dem Angriff erkannt hatte, dass es sich bei dem Geschädigten um einen AfD-Politiker handelt.“ Das Opfer sei nicht lebensgefährlich verletzt worden. Der Betroffene, Heinrich Koch (62), sagte dagegen, er gehe von einem politischen Motiv aus. Im Netz habe es zuvor Aufrufe zu Angriffen auf AfD-Politiker in Mannheim gegeben. Ohnehin ist die Stadt wegen der Messerattacke eines Islamisten in diesen Tagen in Aufregung.
Der Beschuldigte soll am Dienstagabend mehrere Wahlplakate beschädigt und entwendet haben, teilten die Ermittler mit. Zeugen alarmierten die Polizei. Der AfD-Politiker habe das Geschehen ebenfalls bemerkt, den Tatverdächtigen verfolgt und gestellt. Der 25-Jährige solle daraufhin den Verfolger mit einem Cuttermesser verletzt haben, hieß es. Das Opfer kam in ein Krankenhaus.
Koch selbst sagte, er habe bei der Verfolgung sein Handyvideo angeschaltet – „auch als Eigensicherung“. Er habe zunächst nicht erkannt, dass der junge Mann mit den Plakaten ein Messer in der Hand habe. Als der 25-Jährige zustach, habe er sich automatisch geschützt und weggedreht, so Koch. Seine Schnittverletzungen am Ohr und am Bauch nahm er zunächst nicht wahr, er lief dem flüchtenden Verdächtigen hinterher. „Das habe ich nicht gemerkt im Adrenalinrausch, ich wollte ihn stellen.“
Das Video, das der dpa von der AfD weitergegeben wurde, zeigt, wie der Filmende einem Mann über den Marktplatz hinterherläuft und schreit „Stopp! Bleiben Sie stehen!“. Der jüngere Mann trägt mehrere AfD-Wahlplakate unter dem Arm und hat ein Teppichmesser in der Hand. „Sofort hinlegen!“, ruft der Filmende. Dann entsteht ein Handgemenge. Zu sehen ist, wie der Mann mit dem Messer ausholt, die restlichen Bilder sind verwackelt.
Der mutmaßliche Täter sei nach dem Vorfall geflohen, teilten die Ermittler mit. Polizisten hätten ihn widerstandslos festnehmen können. Die Staatsanwaltschaft wolle einen Unterbringungsbefehl beim Amtsgericht beantragen. Der AfD-Kreisverband hatte zunächst von einer Attacke von Linksextremisten gesprochen – davon war später in der Mitteilung der Ermittler keine Rede.
Erst am Freitag hatte ein islamistisch motivierter Mann in Mannheim mehrere Menschen bei einer Kundgebung der islamkritischen Bewegung Pax Europa mit einem Messer angegriffen, ein Polizist starb. Generell hat die Zahl der politischen Attacken zuletzt stark zugenommen – Opfer sind oft Grüne, aber auch AfD-Politiker. Am Samstag war auch der CDU-Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter an einem Wahlstand in Aalen östlich von Stuttgart angegangen worden. Nach Angaben der „Schwäbischen Post“ soll es sich bei dem Mann um einen Aalener Gemeinderatskandidaten einer der Querdenkerbewegung nahestehenden Liste handeln.
Die unterschiedlich gelagerten Fälle, die unterschiedlichen Täterkreise, die unterschiedlichen Opfer – all das macht es den Behörden so schwer, die richtigen Maßnahmen zum Schutz zu ergreifen. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) ist jedenfalls besorgt. „Offensichtlich sinkt bei einigen die Hemmschwelle, Politiker anzufeinden, zu beleidigen und auch vor körperlicher Gewalt nicht zurückzuschrecken“, sagt er. Zum Schutz im Wahlkampfendspurt stellt er mehr Polizisten in Aussicht.
„Wir müssen das Problem aber auch ganz grundsätzlich angehen und vor allem Hass und Hetze im Internet wirksamer bekämpfen. Virtuelle Gewalt kann schnell Realität werden.“ Leider setze sich Bundesinnenministerin Nancy Faeser innerhalb der Koalition aber nicht durch, um Ermittlern den dafür erforderlichen Zugriff auf IP-Adressen zu ermöglichen. N. POINTNER/M.SCHIER