Nicht alle Spitzenkandidaten waren im Wahlkampf sichtbar – zumindest diesen Vorwurf kann man der FDP-Spitzenfrau Marie-Agnes Strack-Zimmermann nicht machen. Die streitbare Verteidigungsexpertin aus dem Bundestag, die sich mit ihrer Ukraine-Politik nicht nur Freunde macht, warf sich mit solcher Wucht ins Zeug, dass sie zuweilen über Ziel hinausschoss. Kanzler Olaf Scholz (SPD), immerhin der Koalitionspartner, bezeichnete sie als „krassen Rechthaber“ mit „geradezu autistischen Zügen“. Später entschuldigte sie sich.
Dem allgemeinen Trend gegen die Ampel konnte sie sich aber nicht entziehen – auch wenn die Fallhöhe nicht so hoch war. Man muss dieses Ergebnis in der historischen Linie sehen: In Europa schneiden die Liberalen immer schlechter ab. 2019 waren es 5,4 Prozent, 2014 sogar nur 3,4. Die Fünf-Prozent-Hürde spielt zwar bei der Europawahl keine Rolle, dennoch wurde der Zahl symbolische Bedeutung beigemessen. Bei Redaktionsschluss segelten die Liberalen exakt an dieser Marke entlang.
Trotzdem herrschte gestern Abend vorsichtige Erleichterung. Bei den Liberalen, die schon lange keine Wahl mehr gewonnen haben, verweist man auf die noch größeren Probleme der anderen Ampel-Parteien, allen voran der Grünen. „Das ist kein glänzendes, aber angesichts der bundespolitischen Stimmung doch ein recht ordentliches Ergebnis“, findet der bayerische Landesvorsitzende Martin Hagen. „Die Spitzenkandidatin hat offensichtlich gezogen.“
Strack-Zimmermann selbst sagte voller Selbstironie: „In dieser Partei zu sein, ist echt eine Herausforderung.“ Aber: Sie habe bei drei Prozent begonnen, dafür sei sie sehr zufrieden. MIKE SCHIER