München – Sie jubeln in großer Tapferkeit und mit bemerkenswertem Nachdruck. Manfred Weber will gerade vor die erste TV-Kamera treten, einen belanglosen Standardsatz über den „Wählerauftrag“ hineinsprechen, da übertönt ihn der Saal hinter ihm mit Beifall und Jubel. Nichts zu verstehen, Weber greift sich ans Ohr, lächelt. Die Live-Schalte stockt, bis sich alle beruhigt haben.
Es dürfte ihm gut tun, auch die „Manfred, Manfred“-Chöre auf der CSU-Wahlparty, getragen vor allem von der Jungen Union. Denn die nackten Zahlen geben Anlass zu ehrlicher Zufriedenheit, aber nicht zu Ekstase. Die CSU landet, Stand der Hochrechnungen, bei rund 40 Prozent. Das ist deutlich mehr als bei der Landtagswahl, aber etwas weniger als 2019 bei Europa.
Als Weber dann zu Wort kommt, ist ihm das anzuhören. Es sei „a ganz a schwierige Wahl“, sagt der Spitzenkandidat. Von einer „Fragmentierung“ spricht er zudem. Damit ist etwas gemeint, was ein anderer hoher CSUler im Saal halblaut derber formuliert. „Diese Sch… Kleinparteien“, raunt er über sein Bier hinweg, die hätten enorm Stimmen gekostet.
Das treibt die Union um. Ja, Wahlsieger ist sie, klar sogar. „Die Ampel ist de facto abgewählt“, freut sich Parteichef Markus Söder und blickt auf Rot, Grün und Gelb. Zumindest in Bayern ist auch die AfD eingedämmt. Und die Freien Wähler schneiden eher moderat ab, bundesweit unter 3 und auf Augenhöhe der „Volt“-Partei, die Gaga-Plakate mit Schimpfworten druckte. Deshalb fragen sich viele: Warum nicht mehr für uns? Wo sind all die Stimmen hin? Noch den ganzen Tag über hatten viele in der Partei 40 plus ein sattes X erwartet. Selbst Edmund Stoiber, der mit Prognosen vorsichtige Ehrenvorsitzende, sagt bei seiner Stimmabgabe in der Grundschule Wolfratshausen, er wünsche sich „über 40 Prozent“. Und Parteichef Söder soll, als er am späten Nachmittag im Hinterzimmer die erste Hochrechnung sah, wieder und wieder alle Zahlen zusammengezählt haben: Fehlt da nicht was?
Die Stimmen für die Klein- und Spaßparteien summieren sich eben. Und Teil der Analyse ist: Einen alles überstrahlenden Kandidaten hatten CSU wie CDU nicht. Weber, parteiübergreifend hoch respektiert, trat diesmal nicht mit der Aussicht an, Kommissionspräsident zu werden; sondern mit dem zähen Manko, 2019 übergangen worden zu sein. Erst recht zog CDU-Kandidatin Ursula von der Leyen, Spitzenkandidatin aller Christdemokraten in Europa, kaum. Mehr noch: Sie sei „eine Bürde“, heißt es in der CSU.
Immer deutlicher raunten das die Christsozialen in den letzten Wochen. Ihr Agieren beim „Green Deal“ (zum Beispiel für ein Verbrenner-Aus) nun rückabzuwickeln, war ein Kernversprechen der CSU. Schon vor 18 Uhr am Sonntag sagt Christian Doleschal, Europaabgeordneter und JU-Chef, auf der Wahlparty: „Sie war kein Zugpferd. Es war nicht ganz einfach.“ Diesen Ton gesetzt hatte Parteichef Söder bei der gemeinsamen Schlusskundgebung am Freitagabend in München. Er sinnierte in seiner Rede, er möge im Fußball weder Leverkusen noch Dortmund, aber in einem internationalen Finale sei man halt dann doch für die. Genauso sei es eine „patriotische Pflicht“, zu von der Leyen zu stehen. Frei übersetzt: Wir halten sie für eine Null, aber es ist wenigstens unsere Null. Man sah von der Leyen dazu mit sehr ernstem Gesicht im Saal sitzen. Sie bekam das genau mit, und auch den kurzen, kraftlosen Beifall nach ihrer eigenen Rede.
Weber soll nun in Brüssel versuchen, bei den 13 konservativen Regierungschefs und später im Parlament eine Mehrheit zu organisieren. Seine einzige Motivation dafür ist, dass Deutschland ansonsten laut Koalitionsvertrag einen Grünen als Kommissar entsenden würde.
In München gibt es derweil noch Gesprächsbedarf. Vor allem mit Blick auf die CDU, die etwas schlechter abschnitt als erhofft. „Wir sind wieder zurück“, verkündet Parteichef Friedrich Merz in Berlin. Doch vor allem im Osten fuhr die CDU bittere Niederlagen ein, wurde teils von der AfD deklassiert. Vor den Landtagswahlen im Osten müsse einem bang werden, heißt es in der CSU irritiert.
Über ihr eigenes Ergebnis wird die CSU-Spitze heute eher gelassen beraten. Es ist für Weber ein Erfolg, aber kein so großer, dass man sich in der Partei Führungsfragen stellen würde. Zwei Lesarten sind unterwegs: Weber bezieht sich in seiner Analyse auf die 37 Prozent Söders bei der Landtagswahl, ergo ein Anstieg. Söder ruft als Maßstab die letzte Europawahl (CSU: 40,7) aus, ergo kein Plus. Man spürt, dass es auch im Wahlkampf zwischen beiden knirschte. Auch als Weber betont, „mit einem Mannschafts- und Team-Ansatz“ könne die CSU wachsen.
Sein Team-Ansatz: Er überlässt Söder sicherheitshalber die Bühne nicht allein. Auch wenn das aufwändig ist: Weber steht am Wahlabend in München, springt dann in einen Flieger, 21 Uhr in Brüssel, will am Montagmorgen aber bereits wieder im CSU-Vorstand in München sein.